Hetzer & Kruse 03 - Schattengift
war, ohne aufzufallen. Eine fast vollkommene Tarnung.
Wundversorgung
Auch Dr. Wiebking bemerkte den Schatten nicht. Hätte man ihn später gefragt, ob er jemanden gesehen hatte, hätte er dies entweder verneint oder sich auf keinen Fall an ein Gesicht erinnern können.
Er hielt mit seinem Wagen im Wendehammer des Nordkamps und ging zur Haustür. Innen bellte es.
„Ja, bitte?“ Marie-Sophies Stimme klang blechern durch die Sprechanlage.
„Ich bin’s, Wiebking. Ich wollte mal nach Ihnen sehen.“
„Oh, das ist aber lieb. Warten Sie, ich komme zur Tür.“
Kurze Zeit später öffnete Marie-Sophie mit einem gequälten Lächeln.
„Sie haben hoffentlich auch ein Schmerzmittel dabei, Doktorchen?“
„Aber sicher doch!“
„Na, dann mal herein in die gute Stube. Aisha, geh zur Seite!“
„Ach, lassen Sie sie doch. Sie mag mich eben.“
„Sie soll aber nicht so aufdringlich sein.“
„Mich stört das nicht. Wo können wir denn hingehen, dass Sie das Bein hochlegen können?“
„Das machen wir am besten da am Esstisch.“ Sie hinkte voraus, kam aber mittlerweile ganz gut mit den Gehstützen zurecht. Nachdem sie sich hingesetzt hatte, legte sie den Unterschenkel auf einen der anderen Stühle und ließ den Fuß vorne überhängen.
Wiebking ging in die Hocke und entfernte den Verband.
„Uhh, das sieht aber doch ziemlich geschwollen aus mittlerweile. Vielleicht wäre es doch besser, wenn ich Sie einweise.“
„Auf keinen Fall. Ich gehe nicht ins Krankenhaus. Außerdem kommt Thomas morgen nach Hause. Er kann mich versorgen. Dann lege ich auch den ganzen Tag das Bein hoch, versprochen!“
„Na, so richtig wohl ist mir dabei nicht. Sie müssen das auf jeden Fall beobachten. Sobald der Fuß heiß wird oder sich sonst eine Veränderung ergibt, wie zunehmender Schmerz oder gar ein roter Strich, rufen Sie mich sofort an oder lassen sich ins Krankenhaus bringen. Versprochen?“
„Ja, das mache ich.“
„Dann werden wir jetzt einen großzügigen Jodsalben-Verband anlegen. Ich denke, wir sollten auch über eine Thrombose-Prophylaxe nachdenken.“
„Ist das denn wirklich notwendig?“
„Es ist besser. Sie werden das Bein bestimmt noch ein paar Tage hochlegen müssen, und wir wollen doch vermeiden, dass Sie noch weitere Probleme bekommen. Ein Blutgerinsel, das sich möglicherweise lösen könnte, wäre doch das Letzte, was Sie nun auch noch gebrauchen können.“
„Ja, das stimmt schon, wobei ich glaube, dass meine Blutgerinnung ohnehin etwas zu wünschen übrig lässt.“
„Wieso?“
„Der Streifschuss hat noch ganz schön lange weitergeblutet. Ich habe den Verband schon mehrfach gewechselt.“
„Hmm, möglicherweise ist ein Gefäß verletzt worden, aber jetzt steht die Blutung, keine Sorge. Sie wissen ja auch, wie Sie mich erreichen können.“ Dr. Wieb king tätschelte Marie-Sophies Schulter. „Soll ich Ihnen die Thrombosespritze geben, oder wollen Sie selbst Hand an sich legen?“ Er schmunzelte.
„Nee, das mache ich nachher schon.“
„Aber nicht vergessen!“
„Nein, versprochen.“
„Gut, dann werde ich die Damen jetzt allein lassen und zu Frau Koch fahren, bevor sie einen Mittagsschlaf macht.“
„Danke, Doktorchen, dass Sie mich besucht haben.“
„Ist doch Ehrensache und ein bisschen Selbstsucht.
Ich will ja schließlich, dass Sie bald wieder arbeiten können.“
Marie-Sophie lächelte süffisant und sagte: „Na, da hoffe ich, dass das die anderen auch so sehen.“
„Aber sicher doch. Wir sind schließlich ein Team.“ Ein Stich, der eine eigentümliche Bitterkeit hinterließ, fuhr in Marie-Sophies Magengrube. Sie wollte aufstehen, um Dr. Wiebking zur Tür zu begleiten.
„Nein, Sie bleiben ganz bestimmt sitzen. Ich finde schon allein hinaus.“ Sanft drückte er sie auf den Stuhl zurück und gab ihr die Hand.
„Danke“, flüsterte sie, „auch für das Verbandsmaterial, die Spritzen und die Schmerztabletten.“
„Keine Ursache, gern geschehen“, rief er ihr auf dem Weg zur Tür zu. Sie hörte noch, wie sie ins Schloss fiel.
Dann war Stille. Eine Stille, die das Herannahen der Schatten zuließ.
Paralleluniversum
Thomas Schulze saß in seinem Büro in Neuperlach und starrte ins Leere. Der Regen hatte aufgehört, es herrschten laue Temperaturen. Draußen war das Grün üppig und saftig. Es sah so aus, als würde der Himmel bald aufreißen. „Ein bisschen Sonne könnte nicht schaden“, dachte er. Schulze war in einem inneren Zwiespalt, den er meist gut
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