Hetzer & Kruse 03 - Schattengift
Zahn gefühlt.
Das Ergebnis war interessant, denn es entstand vor ihren Augen auf einmal ein ganz anderes Bild dieser Frau.
Es war das Bild einer unzufriedenen, missgünstigen Frau, mit der es im Grunde niemand lange aushielt, es sei denn, er war darauf angewiesen.
In der Praxis hatte sie sich eine Machtposition erarbeitet, die ihr schon längst niemand mehr streitig machen konnte. Ihr gutes Verhältnis zum Chef und dass sie ihn als Einzige duzen durfte, war die eine Sache, dass sie es geschafft hatte, niemandem so in ihren Arbeitsbereich Einblick zu gewähren, dass sie angreifbar war, eine andere. Beides zielte jedoch auf denselben Profit ab – Macht und Einfluss, wie bei einer Diktatur. Wer ihr huldigte und schön tat, wer kleiner war als sie, dem war sie wohlgesonnen. Die anderen vernichtete sie mit Worten, Blicken und Intrigen.
Dr. Wiebking empörte sich, als Wolf ihn mit dem Vorwurf des Mobbings konfrontierte. So etwas habe es in seiner Praxis noch nie gegeben. Anke Tatge sei völlig integer. Die Befragung der Mitarbeiter ergab jedoch, dass schon etliche Kolleginnen gegangen waren, weil sie es nicht mehr ausgehalten hatten oder weil Frau Tatge sie so verunsichert hatte, dass sie immer mehr Fehler machten und schließlich von Heiner Wiebking zum Wohle der Praxis entlassen werden mussten.
Nachtgedanken
Wieder einmal hatte Wolf in der Nacht wach gelegen.
Seine Gedanken waren bei Moni oder auch bei Marie.
Manchmal konnte er beides nicht wirklich trennen.
Plötzlich keimte in ihm ein schrecklicher Verdacht, der ihm selbst trotz allem unwahrscheinlich vorkam.
Doch man konnte nicht sicher sein, dass auch das Absurdeste möglich war. Das hatte ihn seine langjährige Dienstzeit gelehrt.
Bisher hatte die Untersuchung der Fingerabdrücke auf der Schere noch keine Übereinstimmung mit einer der Personen rund um Marie-Sophie ergeben. Es war die Schere, die sie im Wald gefunden hatten. An ihr haftete das Blut von Marie. Anke Tatge war die Einzige, bei der es ihnen noch nicht gelungen war, Fingerabdrücke abzunehmen. Es war auch bisher nicht so wichtig gewesen, da kein Tatverdacht bestanden hatte.
Erst jetzt hatte sich herauskristallisiert, was für ein Missverhältnis zwischen beiden Frauen bestanden hatte. Marie-Sophie sei von ihrer Kollegin schlecht behandelt worden und habe sich nicht gewehrt. Das war das Ergebnis tagelanger Befragungen. Die Tatsache, dass Anke Tatge selbst die Stimmung in der Praxis als
„harmonisch“ bezeichnet hatte, trug dazu bei, sie verdächtig erscheinen zu lassen.
Er hatte eine Idee. Frau Tatge hatte in der Praxis einen Schrank. Dort würden sie zweifelsohne Vergleichsabdrücke finden, auch ohne deren Wissen, und möglicherweise ein Haar.
Ein Zeichen
Es war ein Dienstagmorgen, an dem Peter und Wolf in Hetzers altem Büro in Bückeburg saßen und über die Fakten sprachen, die sie zusammengetragen hatten.
Peter fand die Idee mit den Fingerabdrücken genial.
Sie hatten Seppi von der Spurensicherung schon informiert. Er war mit seinem Koffer in die Praxis von Dr. Heiner Wiebking gefahren und hatte innerhalb ihres Spindes reichlich Material gefunden, mit dem er etwas anfangen konnte. Das hatte er Wolf am Telefon gesagt.
Ein echter Fortschritt, dachte Hetzer bei sich und war zufrieden.
Mit einem Mal klopfte es, und Kunze schaute durch den Türspalt.
„Hetzer, hier ist ein Umschlag für dich. Den muss jemand vor die Tür gelegt haben.“
Wolf nahm den braunen Papierumschlag an sich und sagte: „Danke! Steht gar kein Absender drauf.“
„Wie gesagt, keine Ahnung, wer den vorbeigebracht hat“, sagte Kunze und verschwand.
„Pass auf, vielleicht ist es eine Briefbombe von dieser Anke Tatge, weil sie nicht befragt werden will.“ Peter lachte über seinen Scherz und hielt sich den Bauch.
„Tolle Idee, willst du ihn aufmachen?“
„Keineswegs! Man immer ran an den Speck!“ Dass Peter mit seinem Speck nicht ganz so unrecht hatte, hätten die Kommissare allerdings nicht wirklich vermutet. Aus dem Umschlag purzelte ein vertrock netes Stück Fleisch, das sich als das Endglied eines Fingers entpuppte.
„Ihh, wie unschön“, rief Peter. „Gut, dass ich schon satt bin.“
Hetzer nahm einen Plastikbeutel und hob den Finger damit vom Schreibtisch auf. Er drehte ihn hin und her und überlegte, ob er ihn kannte. Den Umschlag ließ er in einen weiteren durchsichtigen Beutel gleiten.
Dann griff er zum Telefon.
„Seppi?“
„Ja!“
„Bist du schon wieder in
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