Hetzer & Kruse 03 - Schattengift
wieder. Es regnete eigentlich andauernd in diesem Sommer. Aber das war ihr ganz recht.
Sie hasste Hitze, weil die ihrem Kreislauf schadete.
Eine Woche lang war sie nun schon mehr oder weniger in dieser Wohnung gefangen gewesen. Seit sie am Sonntag eine unbedachte Bewegung gemacht hatte, hatte sie nur noch Schmerzen. Diese waren im Laufe der Nacht unerträglich geworden. Am Morgen war dann ihr Vater zu ihr gekommen und hatte sie zur Praxis gebracht. Das leise Kribbeln in ihrem rechten Arm war ihr zunächst nicht besonders aufgefallen. Der Schmerz im Nacken war zu stark. Doch nach und nach kämpften sich Kribbeln und zunehmende Taubheit in ihr Bewusstsein. Das machte ihr Angst.
Heiner hörte ruhig zu und untersuchte sie nur vorsichtig. Wahrscheinlich ein Bandscheibenvorfall, diagnostizierte er und drang auf Abklärung bei mehreren Spezialisten. Ihr Weg führte über den Orthopäden zum Radiologen. Ein Marathon begann, der aus den unterschiedlichsten Stationen der Diagnostik bestand und später die Gewissheit brachte, dass sich die Bandscheibe zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel vorgewölbt hatte.
Und da lag sie nun auf dem Sofa mit ihrer Halskrawatte und sah das Leben an sich vorbeiziehen. Gerade jetzt hätte Heiner sie so sehr gebraucht. Sie vermisste ihn. Vor allem, nachdem er gestern Abend bei ihr gewesen war. Sogar eine Pizza hatte er ihr mitgebracht und ihr mit einer Spritze wenigstens für ein paar Stunden die Schmerzen gelindert. Nein, es liefe bestens, hatte er gesagt. Aber das sagte er nur, um sie zu beruhigen. Alles würde in der Praxis drunter und drüber gehen, jetzt, wo sie nicht da war.
Ihre Kollegin Marie-Sophie war immer noch nicht wieder aufgetaucht. Dafür hatten diese rücksichtslosen Kommissare immer wieder versucht, sie zu befragen, aber sie konnte bei diesen Schmerzen keinen klaren Gedanken fassen und hatte abgewehrt. Außerdem hatte sie ein schlechtes Gewissen. Sie konnte nicht sicher sein, ob ihre kleine Schikane nicht doch mehr angerichtet hatte als beabsichtigt gewesen war. Nicht dass sie Marie-Sophie wirklich bedauerte. Ihr würde es in keinem Fall so schlecht gehen wie ihr selbst.
Beim nächsten Mal würde sie die Herren Kommissare nicht mehr abwimmeln können, aber sie musste auf der Hut sein.
Gewissheit
Wie auf heißen Kohlen saß Kommissar Wolf Hetzer, während er auf den Anruf aus der Rechtsmedizin wartete. Kruse beobachtete ihn aus den Augenwinkeln und sagte:
„So wie es aussieht, macht es keinen Sinn mehr zu hoffen, dass Frau Schulze noch am Leben ist, oder was denkst du?“
„Da könntest du wohl recht haben!“, antwortete Wolf.
„Ein schlimmer Gedanke.“
„Ja.“
„Besonders für dich.“
„Hmm…“
„Was heißt das?“
„Ach, ich bin so hin- und hergerissen. Einerseits hat mich diese Frau total umgehauen, andererseits weiß ich auch nicht, was ich von ihr halten soll. Es entwickelt sich kein klares Bild von ihr. Weißt du, was ich meine?“
„Man kann sie nicht richtig fassen?“
„So ungefähr. Sie hatte einen Mann, aber augenscheinlich gleichzeitig einen Liebhaber. Mich sieht sie so an, als wäre ich der Mensch, auf den sie immer gewartet hat. Dann verschwindet sie einfach.“
„Na ja, wenigstens das Letzte kannst du ihr nicht vorwerfen.“
„Ich will ihr auch sonst nichts vorwerfen. Es ist nur so, dass ich selbst nicht weiß, was mich an ihr so fasziniert hat. Sie war selbst so zerrissen. Vielleicht können wir deshalb kein genaues Bild von ihr zeichnen?“
„Innerlich so zerrissen wie du?“
„Wieso ich?“
„Bist du das denn nicht? Möglicherweise wusste sie auch nicht, wo sie hingehört.“
„Ich verstehe nicht, wie du das meinst, Peter! Eigentlich halte ich mich für einen sehr ausgeglichenen Menschen.“
„Ja, aber nur eigentlich. In deinem Gefühlsleben läuft einiges unrund. Erst die lange Trauer um deine Verlobte, jetzt die um Frau Schulze. Kein Wunder, dass dich das blind macht.“
Sehnsucht und Schmerz schossen in Hetzers Magengegend. Sie lähmten ihn und verhinderten, dass Peters letzter Satz in seinem Gehirn ankam.
Er war wieder im Wald, starrte in diese Blutlache wie in einen Spiegel und sah sein Gesicht. Er sah sich selbst. Hohlwangig, blutig, tot.
Peter störte ihn nicht in seinen Gedanken. Es war Nadja, die sich dazwischenklingelte und den Prozess unterbrach. Hetzer erkannte die Nummer und hob ab.
„Hallo Nadja, na, was kannst du uns sagen? Schieß los!
Ich mache den Lautsprecher an, damit Peter
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