Heurigenpassion
lückenhafte Erinnerung. »Irgendwann hat mi der Vata gholt und gsagt, i soll dem Opa jetzt sei Spritzn gebn«, erinnerte er sich. »Und i hab ihm halt die Spritzn gebn. Irgendwann amal später hat er mir an Unterarm hinghalten und gsagt: Stell da vor, des is der Arm von der Elena. Jetzt kannst di für den Biss revanchiern. Also hab i orndlich einebissn. Des hat ma richtig gut tan .«
Jetzt wurde Schwarzenbach offenbar erst bewusst, was er getan hatte. »Wen hob i denn eigentlich bissn?”
»Ihren toten Großvater«, antwortete Sandegger angewidert.
»Was, der Opa is tot ?« , konnte der plötzlich erbleichte Mann gerade noch fragen. Dann kotzte er auch schon die Bettdecke voll.
»Ich glaube, fürs erste haben wir alles«, meinte Sandegger ungerührt und stand auf, während Hellmer Mühe hatte, seine Peristaltik im Vorwärtsgang zu halten.
* * *
Heribert Marinov hatte am Vormittag zwei Banken aufgesucht, um einen Sofortkredit über 250 000 Euro zu bekommen. Gegen eine Sicherheit in Form von Industriediamanten im Wert von einer halben Million. Ein Kinderspiel, hatte er optimistisch gedacht, die Banken wären doch dumm, sich dieses Geschäft entgehen zu lassen. Aber weit gefehlt.
Die jeweiligen Sachbearbeiter und ihre Vorgesetzten hatten sich höflich den einleitenden Teil seines Anliegens angehört und ihm Kaffee und Mineralwasser angeboten. Immerhin sind Privatkredite in dieser Größenordnung auch heute noch keine Alltäglichkeit.
Etwas nervöser waren die »unfähigen Kredithaie«, wie Marinov sie im Nachhinein bezeichnet hatte, geworden, als er das gar nicht so große Ledersäckchen aus seinem Aktenkoffer geholt und vor sich auf dem Tisch aufgebaut hatte.
»Sie können ruhig einen Blick hinein werfen«, hatte er die fast schüchtern wirkenden Krawattenträger aufgefordert. Das Glitzern in den Augen der Bankmenschen erinnerte ihn an Weihnachten in Sibirien. Diese Mischung aus selig leuchtenden Kinderaugen und dem stechenden Blick hungriger Wölfe in den Weiten der vereisten Taiga würde er wohl nie vergessen. Bloß das Heulen der reißenden Bestien war ausgeblieben.
»Ja wissen Sie ...«, »hervorragende Qualität, aber ungewöhnlich ...«, »leider, die Vorschriften ...« und ähnliche unsägliche Sager hatten das Schwanzeinklemmen der gierigen Kleingeister und für ihn den erfolglosen Rückzug bedeutet.
Die beiden Gespräche hatten zwar jeweils kaum mehr als 15 Minuten gedauert. Marinov hatte aber, um mögliche Beschatter abzuschütteln, alle Tricks angewandt, von denen er je gehört hatte. Dazu noch einige, die ihm spontan-situativ eingefallen waren. Das hatte aber viel Zeit in Anspruch genommen und Fahrten mit den verschiedensten Verkehrsmitteln quer durch ganz Wien und wieder zurück bedeutet. Den erfahrenen Mitarbeiter Wallners hatte er damit nicht täuschen können, der jammerte nur über seine immer stärker schmerzenden Füße. Selber Schuld, bei Beschattungen zieht man keine neuen Schuhe an.
Der Privatdetektiv war dem Feuerwerk aus Tarnen und Täuschen allerdings nicht gewachsen gewesen. Er hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, seinen Auftrag entsprechend erledigen zu können, als ihm Marinov kurz nach Mittag auf dem Weg zur Villa seiner Frau zufällig wieder vor die Pupillen gekommen war. Hosianna!
Das Objekt seiner neu entflammten Aufmerksamkeit wirkte bedrückt und kraftlos. Kein Wunder, genauso fühlte sich Marinov auch, wenn nicht noch schlimmer. Er konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor so mutlos gewesen zu sein. Amelia rechnete mit seiner Hilfe und er konnte ihr vielleicht, nein, wahrscheinlich nicht helfen. Das würde sie ihm nie verzeihen, falls sie nach diesem Tag überhaupt noch in der Lage sein sollte, etwas verzeihen zu können. Tränen füllten seine müden Augen.
Plötzlich schoss ihm ein Name durch den Kopf. Grabner, Franz Ferdinand Grabner, das Finanzgenie. Grabner war mit Marinov zur Schule gegangen, in die sagenumwobene »Sames-Schule« in der Billrothstraße. Grabner hatte alles das verkörpert, was er selbst verabscheute, zumindest damals verabscheut hatte. Er war Klassenbester, hatte das Wort »Streber« erfunden und angeblich erst mit 23 sein erstes Mädchen geküsst. Letzteres hatte Marinov noch am wenigsten gestört. Von einem Freund aus dieser Zeit hatte er erst vor kurzem erfahren, dass es »der Franz Ferdinand« ganze 15 Jahre nach der Matura schon zum stellvertretenden Filialleiter irgendeiner Bank gebracht hatte. Tolle Karriere, das musste man schon
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