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Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Titel: Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Sekretärin telephoniert, die bald anfing, alles mitzustenographieren. Warhol erzählte ihr jedes Detail der vergangenen Nacht und mit Vorliebe die schlüpfrigen, aber auch, wieviel er fürs Taxi ausgeben mußte (Warhol war krankhaft geizig) und wie es seinen beiden Dackeln ging. Ab und zu traf er auch auf deutschen Hochadel.
    Und dann fing Fürst Johannes von Thurn und Taxis an, schmutzige Geschichten zu erzählen. Als junger Mann habe er in Hollywood Marilyn Monroe kennengelernt. Er sagte, sie habe sich an ihn herangemacht und ihn zu sich zum Dinner eingeladen, doch er habe sich damals nichts aus Frauen gemacht – er sprach das ganz offen aus. […] Na, jedenfalls will er Marilyn Monroe dann gefragt haben, wer sonst noch käme, und sie nannte ein paar Namen. Und dann kommt er hin, und Marilyn empfängt ihn in einem dekolletierten Negligé. Und er fragte: «Wo sind die anderen Gäste?» Und sie sagte:
    «Sie haben alle abgesagt.» Sie tranken rosa Champagner und aßen zusammen, und dann zog sie an einem Bändchen und stand splitternackt da, und er konnte nicht … er tätschelte nur ihre Brüste und sagte: «Bis später.»
    Dinge in diesem Stil. Warhols Sekretärin Pat Hackett bündelte ihre Mitschriften dann zu dem, was als Warhols Tagebuch erschien; eine
chronique scandaleuse
wie die Tagebücher der Goncourts. Ging es bei Warhol vor allem um Klatsch, so war doch der Charakter der Beichte nicht zu verkennen. Vom Schlamm des Sündenpfuhls, in den er allnächtlich stieg – oder doch zumindest vom Ufer aus überwachte, denn meistens mischte er nicht selber mitund begnügte sich mit der Rolle des Voyeurs –, von diesem Schlamm konnte er sich nur reinigen, indem er jeden Morgen Beichte ablegte. Das Telephon hatte mit dem Beichtstuhl den Vorteil gemeinsam, daß man den Beichtiger nicht sah. Und wenn man ihm nicht in die Augen blicken mußte, fielen die Bekenntnisse leichter, wie auch Sigmund Freud wußte, als er sein Couchritual entwarf.
     
Mit Engeln streiten
    Auch eine etwas jüngere, 1933 in New York geborene Party-Freundin Andy Warhols, die zur Kunst eher im kritischen als im schöpferischen Verhältnis stand – wobei sie die Trennung ablehnte –, hatte sich über die religiöse Färbung des Diarismus eine Meinung gebildet. Die katholische Kultur habe das Ich nie als mysteriös aufgefaßt; das Ich war komplex, widersprüchlich und sündhaft, aber kein Rätsel. Ganz anders die protestantische Kultur: Sie stelle das Ich als ein Geheimnis dar. Daher das Aufkommen der Introspektion, und daher das Führen von Tagebüchern. Auch sie, die sich als «nicht-jüdische Jüdin» verstand, führte ihr Erwachsenenleben lang ein Tagebuch, mit dem sie als Zwölfjährige begann – kein Wunder bei einer Überfliegerin, die kurz nach ihrer Einschulung in diedritte Klasse versetzt wurde und sich als Vierzehnjährige beim Autor des
Magic Mountain
einlud und nach Pacific Palisades pilgerte.
    Warum führte sie Tagebuch? Sie ist – wir schreiben 1968 – schon länger ohne Partnerin, lebt allein und ertappt sich dabei, laut mit sich selbst zu sprechen, was ihr die Einsamkeit nur noch schmerzhafter ins Bewußtsein rückt. Beim Tagebuchschreiben ist es anders, sie fühlt sich jedesmal stärker, wenn sie schriftlich mit sich selbst gesprochen hat. Ehrlich, wie sie ist, fügt sie den Nachgedanken hinzu: Ob sie nicht aber doch darauf hoffe, eines Tages werde ein geliebter Mensch diese
journals
lesen und sich ihr nur um so näher fühlen?
    Und wenn es die Mutter wäre? Die Mutter ist das eigentliche kalte Zentralgestirn, um das ihre Tagebücher kreisen, es ist die Haßliebe zu ihr, die ihr Leben bestimmt. Warum sieht Susan mit 34 Jahren so viel jünger aus? Bei den fünf möglichen Gründen, die sie anführt, ist jedesmal die Mutter beteiligt: Sie imitiert sie, sie schützt sie (wenn sie jünger aussieht, wirkt auch die Mutter jünger); sie folgt ihrem Fluch; sie verrät sie (die Mutter wird alt, und es schmeichelt ihr nicht mehr, wenn die Tochter ewig jung bleibt); sie tritt in die mütterliche Falle, weil man jetzt ihren Sohn David für ihren Bruder hält … Kompliziert.
    Sehr kompliziert. Vor allem auch mit dem Sohn David, der später ein umstrittenes Buch über ihr Sterben schreiben,ihre Tagebücher herausgeben und hoffentlich nicht seinerseits ein Mutterproblem geerbt haben wird. Durfte er das überhaupt, die intimen Schriften der Mutter vor die Augen der Öffentlichkeit zerren? Angeblich hatte er die halbe Erlaubnis dazu: «Du

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