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Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Titel: Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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weißt, wo die Tagebücher sind», habe sie ihm auf dem Totenbett zugeflüstert, gut versteckt nämlich in einem Schränkchen, wie sonst niemand wußte. Hatte sie damit gemeint, daß er mit ihnen nach Belieben verfahren oder daß er sie nach ihrem Tod unauffällig verbrennen möge? Die Frage, die sich ähnlich auch in Pacific Palisades gestellt hatte. Es kenne sie die Welt, damit sie ihr verzeihe?
    David Rieff entschied sich für die Veröffentlichung. Die Tagebücher der Mutter, die in seinem Kommentarteil unter der unangenehmen Abkürzung SS figuriert, lohnen die Lektüre schon deshalb, weil sie vor Intelligenz, auch moralischer, sprühen. Das ist dann, bei allen langwierigen Klagen über die wechselnden
amantes,
doch ein anderes Kaliber als die Telephonate des knausrigen Dackelfreunds.
    Was nicht heißt, daß nicht auch Susan Sontag gelegentlich eine Anekdote durchschlüpft. Etwa die von dem
Action-Painting
-Erfinder und kriegsversehrten Harold Rosenberg, dessen Frau überraschend nach Hause kommt und – man zitiert das besser im Original –:
    stepping over naked one-legged Harold Rosenberg fucking girl on living room floor,
    zu Harold nur sagt:
    Dinner in one hour.
    Von solchen vermutlich leicht angespannten Dinnerstunden erfährt man in diesen Tagebüchern allerdings weniger als vom Hauptgeschäft einer Autorin, die mit Haut und Haar der Kunst und der Literatur verfallen war. Es gibt lange Listen, in denen sie nur seltene Adjektive wie kostbare Muscheln aufreiht. Vom Fiction-Schreiben, zu dem es sie immer unglücklich zog, sagt sie, es sei eine schmale Tür: Manche Phantasien paßten wie große Möbelstücke nicht durch. Dann wieder erfährt sie das Schreiben fast so, als würde ihr diktiert. Sie führt Emily Dickinson mit dem schönen Satz an, Kunst sei ein Haus
that tries to be haunted,
um ihr zu widersprechen: von
Versuchen-müssen
könne nicht die Rede sein. Das Haus der Kunst ist immer verhext.
    Was ihre Tagebücher vor allem verraten, ist eines: makellosen Geschmack. Auf der Liste der wiederentdeckten oder wiederzuentdeckenden Autoren, die Sontag 1964 anlegt, findet sich kein einzig mauer Kandidat. Sie fällt auf erstaunlich wenig herein. Kaum eine nachmals berühmte Figur, die sie nicht schon in der Mädchenblüte erspäht. Siekennt alles, für amerikanische Verhältnisse, und ist in ihren Urteilen so hellsichtig wie scharf. Dem Verdikt
kitsch
entgeht weder Nietzsches
Zarathustra
noch Benjamins «Aura» – und das, als dessen Modewoge gerade erst anzurollen beginnt.
    Schon früh auch wird ihr der russische Dichter Joseph Brodsky zum Freund; sie spricht noch auf ihrem Sterbebett von ihm, auf das sie die so lange bekämpfte Krankheit im Dezember 2004 endlich zwingt. Ihr Tagebuch zeigt uns Brodsky, lange vor dem Nobelpreis, als von Selbstzweifeln nur wenig zerzaust. Früher, sagt er ihr, habe er sich ganz bewußt in Konkurrenz zu anderen Poeten begeben und sich vorgenommen, als nächstes etwas zu schreiben, das besser sei als Pasternak, als Achmatowa, als Frost oder Lowell oder Yeats.
    Und jetzt? fragt ihn die Freundin.
    «Now I’m arguing with angels.»
     
Teuflische Lust, alles zu zerstören
    Ein größerer Gegensatz, sollte man meinen, ist kaum zu denken. Die mondäne Susan Sontag, überall auf der Welt zu Hause, wo es schick oder jedenfalls camp ist, und dann das DDR-Mädchen, das einmal mit der FDJ-Delegationnach Sibirien reisen darf, Teheran für eine Stadt im Irak hält und sich über vier «prachtvolle Neger, von gelblich bis schokoladenbraun» freut, die in Hoyerswerda Spirituals singen … Was hätte ausgerechnet Brigitte Reimann, die von Ulbricht protegiert wird und auf der Veranda zu «scharfer Musik» twistet, mit der Warhol-Freundin und Mutter des guten Geschmacks zu tun?
    Mehr, als man auf den ersten Blick erkennt. Der Umgang mit Unbegabten treibt sie zur Verzweiflung, «ich leide physisch und habe Mordgedanken» – doch, das klingt stark nach Susan. Und hätte Susans Sohn nicht auch bei der folgenden Selbstbeschreibung an eine gewisse Person gedacht? Sie sei im Kern, steht da im Tagebuch,
    bei aller Angst und Unsicherheit, eine zähe, notfalls brutale Person, jedenfalls von stahlhartem Egoismus, brauche und verbrauche andere Menschen, kann niemanden länger als für ein paar Stunden in meiner Nähe ertragen, gelte dabei als fraulich, charmant, anteilnehmend, zerfließe auch wirklich vor Mitgefühl – aber jetzt verdichtet sich immer mehr der Verdacht, daß mich im Innersten nichts

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