Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf
daß Katherine ihr sogar anbot, sie würde Virginia ihr Tagebuch zum Lesen schicken. Der größte aller Vertrauensbeweise; aber er änderte nichts an Virginias schwachem Punkt. Was empfand Virginia Woolf bei der Nachricht von Katherines Tod im Alter von nur vierunddreißig Jahren? Dem Tod an der Krankheit, an der Katherine Mansfield schon viele Jahre litt und über die sie im Tagebuch schreibt:
Lungentuberkulose.
Der Mann im Zimmer neben mir hat die gleiche Krankheit wie ich. Wenn ich in der Nacht erwache, höre ich, wie er sich umdreht. Und dann hustet er.Und ich huste. Und nach einer Weile huste ich. Und er hustet wieder. So geht es eine Zeitlang fort. Bis ich glaube, wir seien zwei Hähne, die einander in einer falschen Dämmerung zukrähen. Von fernen, verlorenen Gutshöfen her.
Was also empfand Virginia Woolf bei der Nachricht von ihrem Tod?
Einen Schock oder Erleichterung? – Eine Rivalin weniger? Dann Verwirrung, weil man so wenig empfindet – dann allmählich Leere & Enttäuschung; dann eine Deprimiertheit, von der ich mich den ganzen Tag nicht mehr erholen konnte. Als ich zu schreiben anfing, kam es mir vor, als sei das Schreiben sinnlos. Katherine wird es nicht lesen. Katherine ist nicht mehr meine Rivalin. […] Dann hatte ich immer wieder visuelle Eindrücke, die fortwährend auftauchten – immer von Katherine, die sich einen weißen Kranz aufsetzt & und uns verließ, auf Abruf; geehrt; auserwählt. Und dann bedauerte man sie. Und man spürte, daß sie sich sträubte, den Kranz zu tragen, der eiskalt war.
Sie erinnert sich an einen Besuch, bei dem Katherine wie eine japanische Puppe aussah, mit dem ganz gerade über die Stirn gekämmten Pony. «Sie hatte wunderschöneAugen – ein bißchen wie die eines Hundes, braun, sehr weit auseinanderliegend, von einem ruhigen, bedächtigen ziemlich treuen & traurigen Ausdruck. Ihre Nase war spitz & ein bißchen ordinär.» Das letzte Beiwort konnte sie sich dann doch nicht verkneifen.
Auch post mortem bleibt sie präsent. Zwei Monate nach ihrem Tod meldet Virginia: «Die arme Katherine ist seit neuestem wieder zu Besuch auf der Erde; sie ist bei Brett zu Hause gesehen worden; von der Putzfrau.» Virginia empfindet das als «eine Strafe Gottes für das, was sie geschrieben hat». Hört das denn nie auf mit der Eifersucht? Bei Virginia Woolf jedenfalls nicht. Im Oktober denkt sie wieder an die Freundin und ihren langwierigen Tod,
wie sie dalag in Fontainebleau – ein Ende, das kein Ende nahm; & dann der Gedanke, ja, wenn sie überlebt hätte, hätte sie weitergeschrieben, & man hätte gesehen, daß ich die Begabtere bin – das wäre nur immer offensichtlicher geworden.
So stellt sie sich Katherine ab und zu vor – «dieses seltsame Gespenst, mit den weit auseinanderstehenden Augen & dem verzerrten Mund, das sich durchs Zimmer schleppt», die Arme, «die ich auf meine Weise glaube ich liebte», wie sie am Ende des Eintrags dann doch hinzufügt.
Wie gesagt, eine zarte Meduse nicht ganz ohne Gift. Aber wie berührend wieder, wenn sie die Trauerphasenihrer Schwester beschreibt, die ihren geliebten Sohn im Spanischen Bürgerkrieg verliert. Und wie poetisch ihre Landschaftsvignetten, die sie impressionistisch dahintupft: wenn sie in ihrem Cottage in Sussex, im
Monk’s House,
aus dem Fenster die vorbeifahrende Eisenbahn sieht, «die Fenster des langen Zuges Flecken aus Sonne; der Rauch legt sich an die Waggons wie die Ohren eines Kaninchens. Die Kreidegrube glüht rosa; & meine Feuchtwiese ist saftig wie im Juni, bis man sieht, daß das Gras kurz & rauh ist wie ein Hundshairücken» – einer der vielen kühnen Vergleiche der Londonerin, die oft auch an Englands Küste den Blick schweifen ließ.
Das Tagebuch war für sie ein Skizzenbrett und diente auch als geistige Lockerungsübung vor dem eigentlichen literarischen Werk. Typischerweise sind es nun gerade ihre Tagebücher, die sich bis heute taufrisch gehalten haben und alleine genügen würden, den Namen ihrer Autorin zu verewigen – was man vielleicht nicht von jedem ihrer Romane sagen kann.
Wenn die Tagebücher das Romanschreiben aber auch befördert haben mögen, war der Gattungsunterschied doch immer klar. Es gibt keine Seite
fiction
von Virginia Woolf, die man mit einer Seite Tagebuch verwechseln könnte. Dienst war Dienst, und Schnaps war Schnaps, wie der Volksmund es forderte. Diese eindeutige Trennung der Genres besteht nicht bei allen großen Autoren.
Trauerspiel Weckdienst
Sehen wir uns
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