Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf
Mutter Teresa des Feminismus werden sollte und die 1925 mit
Mrs Dalloway
einen den größten Romane ihrer Zeit schrieb, zählt zu den merkwürdigsten und berührendsten Figuren der modernen Literatur.
Mit ihrem jüdischen Gatten Leonard Woolf lebte sie in glücklicher Josephsehe. Eine leidenschaftliche Affaire hatte sie mit der Schriftstellerin Vita Sackville-West, deren üppige Sinnlichkeit sie schätzt – «sie ist (was ich nie gewesen bin) eine richtige Frau» – und von der sie mit der mütterlichen Zuwendung überschüttet wird, die, «aus irgendeinem Grunde, das ist, was ich mir immer am meisten von jedem gewünscht habe».
Die in der Kindheit von ihrem Stiefbruder sexuell bedrängte Virginia Woolf war ameisenfleißig, wurde aber immer wieder zurückgeworfen durch Depressionen und psychotische Schübe, in denen sie Stimmen hörte, die ihr Obszönitäten zuriefen. Beim letzten dieser Schübe im März 1941 – für den Fall einer deutschen Invasion hatte sie schon mit Leonard den gemeinsamen Selbstmord geplant – stieg sie mit einem schweren Stein in der Manteltasche in den nahegelegenen Fluß Ouse. Sie könne Leonards Leben nicht länger ruinieren, schrieb sie in ihrem Abschiedsbrief. Erst drei Wochen später fanden spielende Kinder ihre Leiche.
In ihren Tagebüchern zeigt sich Virginia Woolf von ihrer stärksten Seite. Selbst wenn sie in Ohnmacht fällt, ihre Sprachkraft verläßt sie nie:
Soll ich nun beschreiben, wie ich wieder in Ohnmacht gefallen bin? – Das heißt, die galoppierenden Pferde wurden wild in meinem Kopf letzten Donnerstag abend, als ich mit Leonard auf der Terrasse saß. Wie kühl es ist nach der Hitze! sagte ich. Wir sahen zu, wie die Downs sich in eine feine Dunkelheit zurückzogen, nachdem sie den ganzen Tag wie ein kompakter Smaragd geglüht hatten. Jetzt wurde das weich & fein verschleiert. Und die weiße Eule strich vorbei, um Mäuse aus der Marschwiese zu holen. Dann sprang mein Herz; & stand still; & sprang wieder; & ich schmeckte diese merkwürdige Bitterkeit hinten im Hals; & der Puls sprang in meinen Kopf & klopfte & klopfte, noch wilder, noch schneller. Ich fall gleich in Ohnmacht, sagte ich & rutschte vom Stuhl & lag auf dem Gras. O nein, ich war nicht bewußtlos. Ich war am Leben; aber besessen von diesem kämpfenden Gespann in meinem Kopf: galoppierend, stampfend. Ich dachte, etwas in meinem Kopf wird platzen, wenn das so weitergeht. Langsam wurde es dumpfer. Ich zog mich hoch, & schwankte, unendlich mühsam& voller Panik, jetzt wirklich der Ohnmacht nah & sah den Garten, wie er sich schmerzhaft in die Länge zog & verzerrte, zurück, zurück, zurück – wie lang mir das vorkam – konnte ich mich weiterschleppen? – zum Haus; & erreichte mein Zimmer & fiel aufs Bett. Dann Schmerzen wie bei einer Geburt; & dann schwand auch das langsam; & ich lag da & präsidierte, wie ein flackerndes Licht, wie eine äußerst besorgte Mutter, über die zerborstenen, zersplitterten Bruchstücke meines Körpers.
Virginia Woolf beobachtet so scharf und kühl wie Thomas Mann, hat aber die stärkere poetische Neigung und sprüht vor Metaphorik und Witz. Ihre in einer Viertelstunde vor dem Lunch hingeworfenen Eintragungen sind Ausdruck eines nie ermüdenden vibrierenden Geistes. Virginia Woolf gleicht einer zarten, wasserdurchpulsten, ihre Tentakel treiben lassenden und durchaus giftigen Meduse.
Ihre Portraits sind eine Klasse für sich. James Joyce, dessen
Ulysses
ihr Verlag Hogarth Press 1918 abgelehnt hatte, erscheint bei ihr wie ein langweiliger, egozentrischer Internatsschüler. Der erwähnte Keynes erinnert sie an einen vollgefressenen Seehund. Von T. S. Eliot behauptet sie, er benutze lila Puder, um sich ein distinguiert leichenhaftes Aussehen zu geben. Ein besonderer Stachel im Fleisch ist ihr die Erzählerin und Freundin KatherineMansfield. Wenn sie Hymnen über Katherine liest, bekommt sie «fürchterliche Zuckungen». Sie ist froh zu hören, daß K. neulich abend heruntergemacht wurde.
Und warum? Teils weil ich das undeutliche Gefühl habe, daß sie Reklame für sich macht; oder Murry für sie macht; & außerdem sind ihre Erzählungen im Athenaeum wirklich schlecht; doch im Grunde meines Herzens muß ich sie für gut halten, da ich mich freue, wenn man sie heruntermacht.
Nach Mansfields Tod im Januar 1923 gesteht Virginia sich, sie sei auf ihr Schreiben eifersüchtig gewesen – «das einzige Schreiben, auf das ich je eifersüchtig war». Die Freundschaft war dabei so eng,
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