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Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Titel: Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Hochliteratur geworden ist. Alice sollte es bis zu ihrem Tod im Jahr 1983 nicht mehr für länger als ein paar Tage verlassen.
    Mit einem Schlag alle zudringlichen Bekannten los – was für ein Coup! Aber Arnos Kalkül ging nicht auf. Weniger Besucher, gewiß, auch wenn Michels sich nicht abschütteln ließ und nach seiner Pensionierung sogar nach Bargfeld zog. Doch vor der Eifersucht war Schmidt auch in seinem Heide-Reservat nicht geschützt, da war ein ganz hartnäckiger Konkurrent mitten unter ihnen, und das Tag und Nacht:
Purzel.
    Was sich in Alices Tagebuch schon in Darmstadt abzeichnet, ist das Drama der Affenliebe, wie man sie nennen könnte, gälte sie nicht einem anderen Geschöpf: Alices Kätzchen. Nicht einmal dem großen Nödl wird soviel Aufmerksamkeit geschenkt wie ihrem kleinen Purzel. DieKatze ersetzt ihr alles, was er ihr verwehrt. Sie ist das Kind, das sie nie von ihm bekam, alles Liebesreservoir wird auf das Kätzchen gelenkt. Purzel ist der täglich schnurrende Trost für die Frau, die lebenslänglich an die Seite eines sanften Unmenschen gekettet war.
    Purzel gibt schon in der Nacht ganz seltsame Töne von sich. Was hat er: krank? Arno: Liebesgefühle: sieh mal, wie der sich anschmiegt und schmiert. Der ist geschlechtsreif. Ich: doch erst ¾ Jahre alt. A: Der ist aber so Groß und gut gefüttert, der fängt früher an. – und dann sehe ich, wie er sein Polein so nach hinten drückt und kläglich miaut, sich wälzt mich ansieht und wieder miaut. Arno: ist dirs jetzt noch zweifelhaft, was er hat. Denke an Ringelnatz wie der sich vor den Katern wälzte. Genau so machts hier Purzel. Ich: ja, es scheint so. Was tun? Kater holen? – Aber wer tötet dann die Kleinen? Oh weh. A: Dem Kater Gummi überziehn. Aber das läßt doch ’n fremder K. nicht. – da zieh ich mir, damit P. mich nicht kratzt, (hat mir ganzen Arm schon blutig gekratzt) wß Söckchen über d. Hand und kraule Purzel sein Polein. Da ist er ganz zufrieden und kommt so mehrmals zu mir angemiaut mit vorgestrecktem Po, den ich ihm dann kraule.
    Doch das geht Nödl entschieden zu weit.
    Arno: «Macht euch raus, Ihr lesbisches Gezeug!
[…]»
    Schon die Verleger sind Hinterlader, und dann so etwas im eigenen Haus!
     
Die Kunst des Bogenschießens
    Zum Schriftsteller hatte ihn der Krieg gemacht; und wie bei Arno Schmidt lugt auch bei ihm aus jener Zeit etwas Traumatisiertes hervor. Von seinen Freunden «Heimerl» genannt, dem Paß nach Heimito, eine eingedeutschte Variante des spanischen Kosenamens
Jaimito –
Heimito von Doderer, einer der größten Epiker des vergangenen Jahrhunderts, 1966 im Alter von siebzig Jahren in Wien gestorben, geboren als das jüngste von sechs Geschwistern aus reicher Architekten- und Ingenieursfamilie, deren Vermögen der Erste Weltkrieg stark abgeschmolzen hatte, war als Infanterist in russische Kriegsgefangenschaft geraten, aus der er 1920 als Schriftsteller zurückkehrte. Es folgten drei Jahrzehnte des Mißerfolgs, bis ihn 1951 der Roman
Die Strudlhofstiege
fast über Nacht berühmt machte. Nach dem fünf Jahre später vorgelegten Opus magnum
Die Dämonen
schien selbst der Nobelpreis in greifbare Nähe gerückt, doch dann schwärzte ihn sein Konkurrent Canetti an – Doderer hatte für kurze Zeit der NSDAP angehört, ein stupider Akt, dem zwar nie etwas Verwerfliches gefolgt war, der zur Verhinderung der Nobilitierung oder Nobelitierung (Doderers Neigung zum Kalauer scheint ansteckend) dann aber doch hinreichte.
    Wenn seine Romane noch heute weniger bekannt sind, als sie es verdienten, so sind die Tagebücher gleich ganz unbekannt. Die Romane sind die eines kakanischen Proust, erratisch aus der Zeit und den Modeströmungen ragend, barock und von unerhörter erzählerischer Verve; überschäumend von schwarzem Witz und sublimster Psychologie und in Landschaften gebettet, vor allem Wälder, wie sie vor ihm selbst Adalbert Stifter nicht schuf. Auch seine Tagebücher sind eine Ausnahmeerscheinung, und nicht nur, weil Doderer sie penibel mit verschiedenfarbigen Buntstiften in übrigens hinreißender Handschrift führt. Eines ihrer großen Themen ist neben der Schriftstellerei ein gewisser Räuberbub. Der Liebhaber dicker Damen, mit denen er per Zeitungsannonce Kontakt aufnahm – als gepflegter, trainierter Doktor sucht er dort ehrbare Bekanntschaft mit «distinguierter ca. 45jähriger israelitischer Dame (Wienerin) von nur außergewöhnlich starker, korpulenter, üppiger und überaus mächtiger, breiter

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