Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf
Unmensch –,
ihr Nödl, sagten wir, war nicht nur schroff und voller Komplexe und eine Mimose, gegen die noch Virginia Woolf als stoisch erscheint, er war auch krankhaft eifersüchtig. In Darmstadt, wohin sie 1955 aus dem katholischen Kastel bei Trier aus Angst vor einer Anklage wegen Pornographie gezogenwaren (zu wenig Seelandschaft, zu viel Pocahontas), hätte Alice zum ersten Mal die Möglichkeit gehabt, wenigstens alle paar Wochen einmal unter Leute zu kommen. Aber weit gefehlt; Arno schlägt alle Einladungen des Malerfreundes Eberhard Schlotter aus, bewilligt kein Essen im Kellerclub und keinen Tagesausflug, geschweige denn Fahrten ans Meer. Alice bleibt der wahre Grund nicht verborgen.
Frau Licht putzt alle Fenster und Türen. (2 Std. f. 2, – DM.) […] – Übrigens schäkerte A. recht unziemlich mit der Frau Licht «Komme raus, Sie auf dem Stuhl halten» (beim Fensterputzen) und sie hat auch einen Staubsauger, sollten wir uns mal ansehen. «Ja, ich komme alleine zu Ihnen.» – Gewiß, nur Zungensünden, aber das alberne Benehmen von A. ärgerte mich doch, war mir aber zu albern, mir den geringsten Ärger merken zu lassen, so lachte ich nur mit. Wenn aber Schlotter kommt, ist A. so eifersüchtig. Wenn ich so was sagte, oder der, dann wäre Polen offen! – Hinterher redete er dann abfällig von Fr. Licht: wäre so ne richtige kesse Nutte. (23.1.1956)
Vor ähnlichen Apostrophierungen ist nicht einmal Alice sicher:
«Nischt wie Ärger macht das Luder![»] (sic! Das L. soll ich sein! sic! So beginnt A’s Morgen!!
So beginnen Alices Morgen. Sie lernt damit zu leben, daß sie nicht nur nicht ausgehen darf, sondern daß Arno auch Besuch nur zähneknirschend empfängt. Sobald die Tür hinter dem Gast ins Schloß gefallen ist, wird über ihn hergezogen. Als der Verleger Ernst Krawehl sie besucht, dem Schmidt viel zu verdanken hat, notiert Alice anschließend, wie immer willig und Nödl-treu:
und da tänzelt er auch schon herein, sich mehrfach auf den Zehenspitzend wendend und drehend. (Echter Hinterlader, die nur machens so, sagt später Arno!)
Der angebliche Pornograph und scheinbare Freigeist blieb doch sein Leben lang ein Polizistensohn und Spießer vor dem Herrn. Wieviel freier dagegen, frei auch vom Geist der Fünfziger, erscheint da der Schöpfer der
Strudlhofstiege
und der
Dämonen,
der katholische Heimito von Doderer!
Den wiederum hatte, überraschende Verbindung – und dann gleich mehr zu Doderer –, ein Förderer Arno Schmidts schon kurz nach dem Krieg zu einer Lesung eingeladen: Wilhelm Michels, Philologe, Gründer einer Privatschule im Taunus und Schmidts großzügigster Mäzen.
Wenn Michels in seinem Opel Kapitän bei den Schmidts vorfuhr, war es eine halbe Ausnahme von der Regel, daß Besuch nur lästig fiel. Die Listen, die Alice nach solchen Visiten niederlegt, beben geradezu vor Freude; ein seltener Gast bei den Schmidts.
Packten dann ihr mitgebrachtes aus: 1 Neskaffee, 2 Schokoladchen, 1 Beutel Erdnußkerne, 4 Apfelsinen, 4 Äpfel, 1 Brikäse, 1 kl. Schinken, 1 Edamerstückchen, 1 T. Zwieback, ca 100 g. Tee, 1Palmin, 2Margarine, 1gute Butter, 1½Spaghetti, 6 feine Suppen (3 DM wert) – 5Reis, 1Haferflocken, 5Zucker, 1Kaffee, 1 gr. D. Milch, 1 D. (2) Rouladen, 1Nudeln, 1Makkaroni, 1Haferflocken, ½Schokoladenpudding, 1 Dose Fisch, 1 D. Ölsardinen, – Good [sic] bless them!
Dennoch, eine halbe Ausnahme nur – eine echte war es dann doch nicht. Was Arno über den Spender bemerkt, zeugt nicht eben von Dankbarkeit. «Quatschen bis in die Nacht», steht in seinem Tagebuch unterm 13.7.59; «ein widerlicher Geselle, der Michels!»
Wagt er es doch öfter, dem Meister zu widersprechen. Der aber konnte Kritik noch weniger vertragen als seine Kollegen, da war schon ein Molekül zuviel – selbst seine lebenslang falsche Verwendung des Wortes «scheinbar», das er synonym für «anscheinend» gebraucht, ließ er sichnicht ausreden. Allah am Zeuge flicken? Dann lieber auf die einsame Insel, wo man sicher war vor Kränkungen, wo niemand seine Eifersucht erregen konnte und niemand Kritik-Partikel versprühen. «Laß uns bloß raus machen», beschließt er 1956 in Darmstadt. «Ein Baräckchen in der Heide. –» Das Baräckchen – oder der «Schafstall», wie Alice schreibt – fand sich zwei Jahre später für knapp 17.000 DM, die ihm wieder Michels lieh, widerlicher Geselle hin oder her, in der südlichen Lüneburger Heide in dem Dörfchen Bargfeld, das durch Schmidt zu einem Ort der
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