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Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Titel: Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Frauen dazu, ruhigzuhalten?»
    Die Frage, wie Sloterdijk dazu zu bringen wäre, dürfte noch schwieriger zu beantworten sein. Wie man von Kindern sagt, sie hätten Ameisen im Po, so hat Sloterdijk Ameisen im Hirn. Er scheint vor Ideen zu kribbeln. Außerdemhat er intellektuellen Mut. Er sagt, was er denkt, und Korrektheit ist ihm egal. «Der erste Schurkenstaat der Moderne, das revolutionäre Frankreich» – da würde außer Arno Schmidt noch mancher heute schlucken. Aber vielleicht hat der Häretiker recht? Schon Iwan Bunin, der spätere Nobelpreisträger, hatte 1919 im Tagebuch den französischen
Terreur
mit dem bolschewistischen verglichen:
    Ich lese gerade Lenôtre, Saint-Just, Robespierre, Couthon … Lenin, Trotzki, Dsershinski … Wer ist niederträchtiger, blutrünstiger, widerlicher? Natürlich die in Moskau. Aber die in Paris waren auch nicht schlecht.
    Als seine Kommilitonen noch in der Trotzki-Phase waren, lebte Sloterdijk in einem Ashram in Indien. Die Erfahrung prägt die Art seines Denkens bis heute.
    Anders als üblich in seiner Zunft, hat Sloterdijk Humor, mitunter grimmigen. Immerzu wird er angegriffen, und in der eigenen Disziplin ist er – wegen, nicht trotz seiner Ubiquität – weitgehend isoliert. Das erträgt man nicht immer leicht. Einmal sieht er im Fernsehen eine Reportage über Mexiko. Das ganze Land scheine in der Hand der Drogenhändler zu sein, die Regierungen operierten nahezu unverhüllt als Agenturen der Narko-Industrie. Stark entwickelt sei die Auftragsmord-Szene: Für 60 Dollar könne man einen unliebsamen Zeitgenossenauslöschen. Auf europäische Verhältnisse übertragen: Für den Gegenwert eines größeren Abendessens könnte man fünf problematische Kollegen aus dem Weg räumen. «Du mußt zugeben, der Hinweis versetzt dich für sechzig Sekunden in nachdenkliche Stimmung.»
    Ja, die Kollegen! Die Kollegen haben Sloterdijk zum Experten auf einem Gebiet gemacht. Es gibt seit Nietzsche keinen genaueren Kenner des Ressentiments und der geheimen Kavernen, in denen es sich zu sammeln pflegt. «Man kann keinen unangenehmeren Feind haben als einen Versager mit viel freier Zeit.» Sloterdijk ist hinter die Schule gelaufen, das mögen die Schulen nicht. Seine Stellung in der heutigen Philosophie ist deshalb so umstritten und singulär, weil er überhaupt keiner Schule zuzurechnen ist, und nicht nur der Frankfurter nicht, die mit ihm in Dauerfehde steht. Sloterdijk denkt noch für sich und freihändig, was zu Stürzen führen kann, wie der passionierte Radfahrer weiß. Aber es ist doch etwas anderes, als in der Gondel der Philosophen-Seilbahn zu sitzen, die ihre Gäste zuverlässig zu den bekannten Plattformen und Gemeinplätzen hochzieht.
    Sloterdijk hat, wie vor ihm Nietzsche, die Gondeln immer abgelehnt. Das erhöht das Risiko. Nicht ohne Grund zitiert er einmal den Satz, «des Lebens Zittern» nehme zu. Er entnimmt das Zitat übrigens en passant dem Tagebuch Fritz J. Raddatz’. Der wiederum zitiert den Satz aus denTagebüchern Thomas Manns. Das Tagebuch als Kettenbrief … Die Leser dieser Zeilen mögen ihn nur nicht abbrechen lassen! Sonst drohte Ungemach, und des Lebens Zittern nähme noch mehr zu.
    Bei Raddatz war die Eitelkeit nicht durchweg angenehm, wie steht es damit bei Sloterdijk? Ein bißchen viel name dropping vielleicht?! Ja, zugegeben, aber auch schon verziehen. Und eitel ist er nun gerade nicht, eher das Gegenteil. Sich seines Ranges bewußt, das schon. Vielleicht nicht so ausgeprägt wie bei Frank Lloyd Wright, der als Zeuge vor Gericht angab, er sei der größte lebende Architekt, und auf die Frage des Richters, was ihn zu dieser Behauptung veranlasse, erwiderte, er stehe immerhin unter Eid. Sloterdijk, der die Geschichte erzählt, erklärt uns, Bescheidenheit sei ohnehin nur eine Art und Weise, «unter der egalitären Asche die elitäre Glut zu hüten».
    Nur die Lumpe sind bescheiden, hatte schon der Daseinsdekorateur gewußt. In der Begeisterung, die Schriftsteller kurz vor Beendigung eines größeren Werks erfüllt, läßt sich einmal auch der Goethe-Kritiker nicht lumpen. Mit seinem neuen Buch
Du mußt dein Leben ändern
werde eine Rakete an die Rampe gefahren, die bald abheben könne. «Ihrem Feuerstrahl beim Start werden die besseren Leser einige Zeit hinterhersehen.» Das Buch werde das Reden über Ethik verändern, sobald es seine Satelliten ausgesetzt haben werde. (Die Satelliten namens Übung,Vertikalspannung, Immunisierung – in der Tat leuchtende

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