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Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Titel: Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Studie
An Experiment with Time
hatte Einfluß auf Tolkien und C. S. Lewis, auf T. S. Eliot, Aldous Huxley, H. G. Wells und James Joyce – und das waren nur seine Landsmänner. Aber auch Arno Schmidt schätzte ihn, Jorge Luis Borges zitiert ihn immer wieder, und für den Schöpfer
Lolitas
war er eine Art Hausphilosoph.
    Was der 1875 geborene irische Flugzeugkonstrukteur sich mit seinem über die Jahrzehnte immer wieder erweitertenHauptwerk vorgenommen hatte, war nichts geringeres als die Lösung des Problems der Zeit.
    Worin genau lag das Problem mit ihr? Daß etwas nicht damit stimmen konnte, daß die
Zeit floß,
daß sie sich auf einer Achse von der Zukunft zur Gegenwart in die Vergangenheit bewegt – etwas an diesem Alltagskonzept war grundverkehrt. Das Problem bestand in der Idee dieser sonderbaren Bewegung. Sie setzt eine Art Zeit hinter der Zeit voraus, denn Bewegung in der Zeit muß selbst
timeable
sein – wenn das bewegende Element entlang der Zeitachse überall gleichzeitig ist, dann bewegt es sich nicht.
But the Time which times that movement is another Time.
Diese zweite Zeit setzt wiederum eine dritte voraus – und so ad infinitum. Und wer beobachtet diese Zeitbewegung? Auch er braucht einen weiteren Beobachter und dieser einen dritten, was Dunne zu der Idee des
Serialism
führte und schließlich – aber dieses Kaninchen steckt bei ihm schon von Anfang an im Hut – zum Beweis der Unsterblichkeit. Am Ende nimmt John W. Dunne, ohne viel Ahnung von Quantenphysik, fast das Modell der Paralleluniversen vorweg.
    Begonnen hatte alles in der Kindheit, in der Dunne eine kuriose Beobachtung machte. Er träumte öfter Dinge, die später eintrafen. War er etwa Hellseher? Nein, es lag an der Natur der Zeit selbst. Besonders einer seiner Träume, von denen er im
Experiment with Time
viele Beispiele gibt,brachte ihn auf die richtige Spur. Als Offizier im Burenkrieg hatte Dunne 1902 von einer Insel geträumt, die kurz vor einem Vulkanausbruch stand. Dunne wollte helfen, die viertausend Einwohner mit Schiffen zu evakuieren. Der Berg wird explodieren, dachte er in dem dramatischen Traum und versuchte vergeblich, die trägen französischen Beamten aufzurütteln. Als in seinem Feldlager in Lindley mit der üblichen Verspätung der
Daily Telegraph
eintraf, brachte er die Schlagzeile vom Vulkanausbruch in Martinique. Der Berg Mont Pelée war explodiert, vergeblich hatte man versucht, die Einwohner mit Schiffen zu retten. Alles stimmte wie vorhergeträumt, nur die Zahl der Opfer lag eine Größenordnung über der geträumten. Es waren nicht 4000 Tote, sondern 40.000; Dunne hatte sich, wie er erst Jahrzehnte später bemerkte, um eine Null vertan.
    Was konnte man daraus schließen? Der Traum bezog sich offenbar nicht auf den Vulkanausbruch selbst, sondern auf die flüchtig gelesene Zeitungsmeldung. Hätte Dunne den Traum nicht vor, sondern nach der Lektüre gehabt, wäre er ganz unspektakulär gewesen. Andere Träume bestätigten das Muster. Hellseherei war, anders als im Fall Joséphines, nicht im Spiel, der Traum speiste sich aus Tagesresten und nahm seine üblichen kleinen Verzerrungen daran vor. John W. Dunne hatte völlig normale Träume. Nur hatte er sie in den falschen Nächten. Sie verarbeitetenEreignisse, die erst in der Zukunft vergangen gewesen sein würden.
    Die Barriere, die unsere Kenntnis der Vergangenheit von unserer Kenntnis der Zukunft trennt, es gab sie also nicht immer, was hieß: Es gab sie nicht prinzipiell – und demnach überhaupt nicht. Nur auf der Alltagsebene, war Dunnes Schluß, nachdem er der Sache mit britischem Common sense und vielen Diagrammen auf den Grund gegangen war, nur in unserem Wachbewußtsein ist die Zukunft von der Vergangenheit geschieden, auf der höheren Ebene fällt die Unterscheidung weg. Nur das Wachbewußtsein ordnet die Zeit in Vorher und Nachher, wie die Mystiker schon immer wußten, zu schweigen von den australischen Aboriginals, die keinen Briten brauchten, um sich über Traumzeit belehren zu lassen – auf der höheren Ebene der
Real Time
ist alles stehendes Jetzt.
    Und an dieser Stelle kommen die Logbücher ins Spiel. Auf diese höhere Ebene kann der Mensch nämlich jedesmal gelangen, wenn sich seine Aufmerksamkeit vom Hier und Jetzt löst, in tiefer Entspannung oder im Schlaf. Dann sinkt die Tagesbarriere zwischen den scheinbar getrennten Zeiten, und der Geist schweift frei überm Plateau, in dem Vergangenheit und Zukunft nur
eine
schimmernde Fläche sind.
    Das

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