Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf
er den Norweger Amundsen auf gleicher Mission. Scotts Tagebücher wurden später gefunden; ein Bericht, wie die
New York Times
seinerzeit schrieb, «der jedes Herz erregt, das sich durch Geschichten von Heldentum und Leiden erregen läßt».
15. Januar 1912:
Lager 67. Höhe 3025 Meter. Temperatur 32°.
Nach dem zweiten Frühstück glitt der Schlittenerstaunlich leicht vorwärts – teils infolge des geringen Gewichtes, teils auch weil er richtig beladen war, hauptsächlich aber infolge unserer stärkenden Rast. Jedenfalls machten wir einen großartigen Nachmittagsmarsch von 11½ Kilometern, haben es also heute im ganzen auf mehr als 22 Kilometer gebracht!
Ein wunderbarer Gedanke, daß nur noch zwei lange Märsche uns an den Pol bringen werden! Nur noch lumpige 50 Kilometer! Wir müssen hinkommen, koste es was es wolle! Jetzt schreckt mich nur noch die furchtbare Möglichkeit, daß die
norwegische Flagge vor der unsern dort flattern könnte!
16. Januar
Lager 68. Höhe 2970 Meter. Das Furchtbare ist eingetreten – das Schlimmste, was uns widerfahren konnte! –
Wir machten am Vormittag einen guten Marsch und legten 14 Kilometer zurück. Die Mittagsobservation zeigte uns, daß wir uns auf 89° 42’ südlicher Breite befanden, und wir brachen am Nachmittag in sehr gehobener Stimmung auf, denn wir hatten das sichere Hochgefühl, morgen unser Ziel zu erreichen. Nach der zweiten Marschstunde entdeckten Bowers’ scharfe Augen etwas, das er für ein Wegzeichenhielt. Es beunruhigte ihn, aber schließlich sagte er sich, es werde wohl ein Sastrugus [eine Schneedüne] sein. In wortloser Spannung hasteten wir alle weiter – uns alle hatte der gleiche furchtbare Verdacht durchzuckt, und mir klopfte das Herz zum Zerspringen. Eine weitere halbe Stunde verging – da erblickte Bowers vor uns einen schwarzen Fleck! Ein natürliches Schneegebilde war das nicht – konnte es nicht sein – das sahen wir nur zu bald! Geradewegs marschierten wir darauf los, und was fanden wir? Eine schwarze, an einem Schlittenständer befestigte Flagge! In der Nähe ein verlassener Lagerplatz – Schlittengleise und Schneeschuhspuren kommend und gehend – und die deutlich erkennbaren Eindrücke von Hundepfoten – vieler Hundepfoten – das sagte alles! –
Die Norweger sind uns zuvorgekommen – Amundsen ist der erste am Pol!
Eine furchtbare Enttäuschung! Aber nichts tut mir dabei so weh als der Anblick meiner armen, treuen Gefährten! All die Mühsal, all die Entbehrung, all die Qual – wofür? Für nichts als Träume – Träume über Tag, die jetzt zu Ende sind. – An Ruhe war in dieser Nacht nicht zu denken! Schon die Aufregung ließ uns nicht schlafen, die Aufregung über diese Entdeckung – des schon entdeckten Pols!
Alle Gedanken, die in uns aufstiegen, alle Worte, die fielen – alles endete mit einem furchtbaren Zu spät! Und als es dann still wurde im Zelt – da brüteten wir gewiß alle über der einen finstern Vorstellung:
Mir graut vor dem Rückweg! –
Der zweieinhalb Monate später sein bekanntes tragisches Ende fand, überliefert in Scotts Logbuch, das er bis kurz vor seinem Tode führt.
29. März
Lager R 60. Seit dem 21. hat es unaufhörlich aus Westsüdwest und Südwest gestürmt. Wir hatten am 20. noch Brennstoff, um jeden Tag zwei Tassen Tee zuzubereiten, und trockne Kost auf zwei Tage. Jeden Tag waren wir bereit, nach unserm nur 20 Kilometer entfernten Depot zu marschieren, aber draußen vor der Zelttür ist die ganze Landschaft ein wirbelndes Schneegestöber. Wir können jetzt nicht mehr auf Besserung hoffen. Aber wir werden bis zum Ende aushalten; freilich werden wir schwächer; und der Tod kann nicht mehr fern sein.
Es ist ein Jammer, aber ich glaube nicht, daß ich weiter schreiben kann.
R. Scott
Last entry. For God’s sake look after our people.
Im November fand ein Suchtrupp das letzte Lager der Südpolgruppe und Scotts Tagebuch, das zum Testament geworden war. Seine Dramatik hatte es auch dem jungen Nabokov angetan, der sich von Scotts Tagebüchern zu dem frühen, erst 1996 uraufgeführten Drama
Der Pol
anregen ließ.
Der Sieger des Wettlaufs hatte nach seinem Erfolg keinen frohen Tag mehr. Alle liebten den Verlierer, für Amundsen blieben nur Ranküne und Ressentiment. Schließlich verdanke er seinen Vorsprung nur den Schneehunden, auf die der Präsident der Londoner
Royal Geographical Society
höhnisch toastete, worauf hin Amundsen den Club verließ.
Erst in den siebziger Jahren sickerte
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