Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf
Anekdotenerzähler, wie Sloterdijk unfrisierte Feuerköpfe, wie J.W. Dunne Traumforscher oder wie Adorno Doggenliebhaber sind. Warum liest man siegerne? Die Gründe dafür sind ebenso vielfältig wie die fürs Führen eines Tagebuchs. Ein ganz spezieller Grund trifft auf eine ganz spezielle Klasse von Tagebüchern zu: solche, in denen sich die große Geschichte niederschlägt. Betrachten wir ein paar solcher historisch bedeutsamer Tagebücher. Wie spiegelt sich das Riesige im Kleinsten? Wie etwa spiegelt sich etwas so Gewaltiges wie die Entdeckung Amerikas im privaten Logbuch des zufälligen Entdeckers, der das gefundene Land für einen Teil Asiens hält?
Christoph Kolumbus, 12. Oktober, Guanahani (San Salvador)/Bahamas
Um zwei Uhr morgens kam das Land in Sicht, von dem wir etwa 8 Seemeilen entfernt waren. Wir holten alle Segel ein und fuhren nur mit einem Großsegel, ohne Nebensegel. Dann lagen wir bei und warteten bis zum Anbruch des Tages, der ein Freitag war, an welchem wir zu einer Insel gelangten, die in der Indianersprache «Guanahani» hieß. Dort erblickten wir alsogleich nackte Eingeborene.
Nachdem Kolumbus mit zwei Kapitänen an Bord eines mit Waffen versehenen Bootes an Land gegangen ist, die königliche Flagge entfaltet und vor Augenzeugen im Namen des Königs und der Königin von der gesamten Insel Besitz ergriffen hat, sammeln sich zahlreiche Eingeborene um ihn.
In der Erkenntnis, daß es sich um Leute handle, die man weit besser durch Liebe als mit dem Schwert retten und zu unserm Heiligen Glauben bekennen könne, gedachte ich, sie mir zu Freunden zu machen und schenkte also einigen unter ihnen rote Kappen und Halsketten aus Glas und noch andere Kleinigkeiten von geringem Wert, worüber sie sich ungemein erfreut zeigten. Sie wurden so gute Freunde, daß es eine helle Freude war. Sie erreichten schwimmend unsere Schiffe und brachten uns Papageien, Knäuel von Baumwollfaden, lange Wurfspieße und viele andere Dinge noch, die sie mit dem eintauschten, was wir ihnen gaben, wie Glasperlen und Glöckchen. Sie gaben und nahmen alles von Herzen gern – allein mir schien, als litten sie Mangel an allen Dingen. Sie gehen nackend umher, wie Gott sie erschaffen, Männer wie Frauen, von denen eine noch sehr jung war …
Sie führen keine Waffe mit sich, die ihnen nicht einmal bekannt sind; ich zeige ihnen die Schwerter und da sie sie aus Unkenntnis bei der Schneide anfaßten, so schnitten sie sich. Sie besitzen keine Art Eisen. Ihre Spieße sind eine Art Stäbe ohne Eisen, die an der Spitze mit einem Fischzahn oder einem anderen harten Gegenstand versehen sind. Im allgemeinenhaben sie einen schönen Wuchs und anmutige Bewegungen …
Sie müssen gewiß treue und kluge Diener sein, da ich die Erfahrung machte, daß sie in Kürze alles, was ich sagte, zu wiederholen verstanden; überdies glaube ich, daß sie leicht zum Christentum übertreten können, da sie allem Anschein nach keiner Sekte angehören. Wenn es dem Allmächtigen gefällt, werde ich bei meiner Rückfahrt sechs dieser Männer mit mir nehmen, um sie Euren Hoheiten vorzuführen, damit sie die Sprache [Kastiliens] erlernen.
So sah sie aus, die Ankunft in der Neuen Welt. Wie freilich schon Lichtenberg wußte, hatte die Sache zwei Seiten:
Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte, machte eine böse Entdeckung.
Weniger folgenreich als die Fahrten des Kolumbus war die Expedition, die Charles Darwin im Süden Amerikas unternahm. Wie wir aus seinem Reisetagebuch erfahren, waren seine Gastherren in Uruguay vor allem an zwei Dingen interessiert. Daß die Erde kugelförmig sei, mochten sie zwar kaum glauben, aber es brannte ihnen auch nicht auf den Nägeln. Sehr dagegen zwei andere Fragen, mit denen sie sich an den Besucher wandten. Die Damen von Buenos Aires seien doch die schönsten der ganzen Welt? Darwinbejahte höflich. Und dann die andere Frage: Trügen die Damen in irgendeinem anderen Teil der Welt so große Kämme? Große Erleichterung, als der weitgereiste Gast ihnen versicherte: nein, nirgendwo in der Welt, die Kämme der Damen in Buenos Aires waren die größten. – Man hatte es immer vermutet, aber nun wußte man es offiziell. Aus Dankbarkeit überließ der Gastgeber Darwin sein eigenes Bett.
Die schwarze Flagge
Einer anderen Entdeckung ging ein dramatischer Wettlauf zwischen zwei Teams voraus. Als der britische Marineoffizier Robert Falcon Scott 1912 mit der Terra-Nova-Expedition als erster den Südpol erreichen wollte, wußte
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