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Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Titel: Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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seither verstummten Autor berühmt gemacht hatten; aber der Traum rundet gern großzügig auf. Die geheime Verehrung rückt er durch die neunundneunzig erst recht ins Relief.
    Arthur Schnitzler war nicht der einzige, der auch ohne Anweisung John W. Dunnes seine Träume aufzeichnete. Ein Traumtagebuch hatte auch der deutsche Philosoph und Musikologe Theodor W. Adorno geführt, der im kalifornischen Exil – wie auch das Ehepaar Werfel – zum Nachbarn Thomas Manns geworden war. Der hatte die Schaffenskrise nach den
Buddenbrooks
inzwischen überwunden und nach dem
Zauberberg,
der Joseph-Tetralogie und zwei Dutzend Erzählungen sein Alterswerk
Doktor Faustus
begonnen, für das ihm der Musikkritiker gerade recht kam. Der Fürsprecher der Moderne wurde freundlich um Rat gebeten, und am Ende dachte Adorno sich alle Kompositionen des Tonsetzers Adrian Leverkühn für den
Faustus
aus. Aus Dank dafür flocht Thomas Mann Adornos Mutternamen in den Roman ein, den «Wiesengrund». Außerdem setzte er dem Teufel, der Leverkühnerscheint und der Gustav Mahler nachgebildet war, den auch Thomas Mann verehrte, Adornos Hornbrille auf.
    Adorno hatte es nicht gerade mit Humor genommen. Einmal war es auf einer Party sogar zu einer kleinen Szene gekommen, wie Thomas Mann im Tagebuch festhält:
    Verzögerungen und hysterischer Ausbruch des auf die Beendigung der Mahlzeit wartenden Adorno, in dessen Brust das Bewußtsein der musikalischen Teilhaberschaft am Faustus gährt [sic]. Etwas unheimlich.
    Vielleicht war Humor überhaupt die Sache des
Faustus-
Teilhabers nicht? Um so erstaunlicher die Ausnahme: die Traumprotokolle, die er selbst noch zu Lebzeiten hatte veröffentlichen wollen, was dann aber erst postum geschah. Wenn die Wahrheit im Traum sich zeigte, hätte Adorno eben doch Humor.
    Am 22. März 1966 träumt er, Peter Suhrkamp habe ein großes kulturkritisches Buch geschrieben – «auf plattdeutsch. Titel: Pa Sürkups sin Kultur.» Ein andermal, im September 1958, träumt er, daß er mit einer großen, in Frack gekleideten Dogge tanzt. «Ich überließ mich ganz der Dogge und hatte, zum Tanzen überaus unbegabt, das Gefühl, zum ersten Mal in meinem Leben tanzen zu können, sicher und hemmungslos. Zuweilen küßten wir uns, der Hund und ich. Höchst befriedigt aufgewacht.»
    In der Regel sind es aber doch die menschlichen Geliebten, die ihm im Traum erscheinen. Anders als bei der Dogge nicht immer zu seiner Befriedigung. Man beachte in der folgenden Passage auch, wie Adorno seiner Marotte des möglichst weit nach hinten gerückten Reflexivpronomens auch im Traumprotokoll nicht sich entschlagen kann. Und man vergegenwärtige sich, daß es seine Frau Gretel war, die alle diese Protokolle abtippte.
    Ich unterhielt mich mit meiner Freundin X über die erotischen Künste, deren ich sie für mächtig hielt. Dabei fragte ich sie, ob sie es par le cul könnte. Sie begegnete der Frage mit viel Verständnis und antwortete, an manchen Tagen könne sie es, an manchen nicht. Heute gerade sei es unmöglich. Mir schien das ganz plausibel, doch dachte ich darüber nach, ob es die Wahrheit oder ein Vorwand sei, nach Dirnenart sich mir zu entziehen. Da erklärte sie, sie könne andere, weit schönere, ungarische Dinge, von denen ich gewiß noch nichts gehört hätte. Auf meine begierige Frage antwortete sie: nun, zum Beispiel Babamüll. Sie begann mir das auseinanderzusetzen. Es stellte sich aber bald heraus, daß es bei der vermeintlichen Perversität um eine höchst komplizierte, mir ganz undurchsichtige, aber offenbar illegale Finanzoperation sich handelte, etwas wieeine gefahrlose Methode, ungedeckte Checks auszugeben. Ich machte sie darauf aufmerksam, daß das mit den versprochenen Liebesdingen doch gar nichts zu tun habe. Doch überlegen und unnachgiebig bedeutete sie mir, ich müsse scharf aufmerken und Geduld haben, das andere komme schon. Da ich aber den Zusammenhang längst nicht mehr begriff, verzweifelte ich daran, je zu erfahren, was Babamüll sei.
    Ein Rätsel, das wohl ungelöst bleiben wird. Die Scheck-Methode hätte dabei sicher auch einige Investmentbanker interessiert. Beziehungsweise, sie hat sich seit der Jahrtausendwende offenbar schon unter ihnen herumgesprochen. Ist
Babamüll
Adornos seherische Vorwegnahme der Schrottpapiere? Hier wäre wieder Mr. Dunne gefragt.
     
Halsketten und große Kämme
    Fremder Leute Tagebücher liest man indessen auch gern, wenn sie nicht wie Kafka Jahrhundertschriftsteller, wie Krausser große

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