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Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Titel: Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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allmählich durch, daß Scott vor allem auch ein großer Stümper gewesen war. Ohne sein Tagebuch, in dem er den Helden gab, wären etliche Polarstationen, Mondkrater, Meteoriten und Raumsonden nicht nach ihm benannt.

Köpfen, Hängen, Spießen
    Aber auch im Abendland wurde dramatisch Geschichte gemacht, die sich im Tagebuch niederschlug. Gut hundert Jahre vor der Französischen Revolution hatte sich vor Wien das Schicksal Europas entschieden. Zum zweiten Mal lagen die Türken vor der Stadt, und dieses Mal schien der Sieg ihrer. Es hing an einem seidenen Haar: Wien war kurz vor der Niederlage, die Stadtmauern waren schon vermint, die Belagerten zermürbt. Es ging um Tage, ja Stunden. Hätte der türkische Oberbefehlshaber Kara Mustafa Pascha nur eine Fehlentscheidung weniger gefällt und wäre das polnisch-deutsche Entsatzheer nicht rechtzeitig eingetroffen, wäre der goldene Apfel, wie Wien genannt wurde, in den Schoß des Osmanischen Reichs gekullert – und wohl ganz Europa muslimisch geworden. Ein später Reflex dieser Jahrhundertbedrohung findet sich in Mozarts Oper
Entführung aus dem Serail,
in der Osmin im Koloraturbaß schmettert: «Erst geköpft, dann gehangen, Dann gespießt auf heiße Stangen; Dann verbrannt, dann gebunden, Und getaucht; zuletzt geschunden.»
    Nicht sehr viel anders liest es sich im Original. Es hat sich ein Tagebuch erhalten, das der Zeremonienmeister der Hohen Pforte während der Belagerung Wiens 1683geführt hat, ein treuer Ergebener des Kara Mustafa Pascha und bis zum Schluß vom baldigen Sieg überzeugt. Was dieser vermutlich Achmed genannte Diarist über die Behandlung der Ungläubigen, genannt «Giauren», festhielt, macht Mozarts Osmin zu einer realistischen Figur.
    Genau einen Tag bevor sich das Schlachtenglück wendete, schreibt Achmed ins Tagebuch:
    Inzwischen ließen die Glaubensfeinde dort, wo Kara Mehmed Pascha stand, am Ufer entlang und dann auf dem Klosterweg ihre Vorhuten vorrücken, und nun gingen auf der islamischen Seite die kampfbegierigen Glaubensstreiter wie die ausgehungerten Wölfe zum Angriff über; sie ließen von den zweihundert bis dreihundert Giauren eine große Anzahl ins Gras beißen und brachten zwei Köpfe ein.
    Vom Sohn des Atli Beğ wurde ein junger Gefangener eingesandt; er wurde unverzüglich dem Scharfrichter übergeben.
    Als dem Großwesir von Kara Mehmed Pascha die Meldung zugeleitet wurde, daß die gottlosen Giauren die Streitscharen des Islams wie die wildgewordenen Schweine angriffen, wurden sofort sämtliche Gefolgsmänner und Dienstleute des Großwesirs in voller Ordnung und Bewaffnung bereitgestellt.
    Gleichzeitig wurde der Jarnitscharenağa zum Großwesir gerufen und erhielt den Befehl, mit den Fußtruppen der Janitscharen der Hohen Pforte auf dem Kampfgelände vor den Geschützen Gräben zu beziehen; er rückte also eiligst ab. […] Der erhabene, sieghafte Großwesir blieb in seiner Zeltburg und erließ an diejenigen, die mit ihm zu ziehen bestimmt waren, den Befehl, bereit und wachsam zu sein.
    Dann kamen aus dem Kampfgebiet ein weiterer Kopf und zwei Gefangene; es wurde beiden der Kopf abgeschlagen und ihr erbärmliches Dasein aus dem Register der Zeiten getilgt.
    Es kam noch die Nachricht, daß man mit fünf Sprengbohrungen nun je vier Ellen tief in die Festungsmauern eingedrungen sei und die Stellen für die Aufnahme der Pulverladungen bald erreicht sein würden.
    Da hing es an besagtem Haar. Hätten die Sprengladungen angebracht und gezündet werden können, wäre die Festung Wien gefallen. Doch am nächsten Morgen muß Achmed melden,
    daß die Truppen der unseligen Giauren in Stärke von zweihunderttausend Mann über den Berg amDonauufer anrückten und daß auf der Seite, wo Kara Mehmed Pascha stand, der Kampf und Streit bereits entbrannt sei.
    Ein zweiter Chronist namens Mehmed vermerkt zu diesem 11. September im Tagebuch:
    Und somit war die ganze Belagerung von sechzig Tagen umsonst gewesen.
    Als nun die Ketzer in der Festung sahen, wie das Heer der Giauren in der Gegend des schon erwähnten Klosters am Fuße der deutschen Berge gegenüber der Festung eintraf und sich am Rande der Weingärten lagerte, da waren sie wie neubeseelt; von beiden Seiten ließen sie bis zum Abend und vom Abend bis zum Morgen die Geschütze und Flinten knallen und ein derartiges Feuerwerk von Raketen steigen, daß es nicht zu beschreiben ist – Allah verderbe und vernichte sie!
    Doch Allah dachte nicht daran; Kara Mustafa mußte sich zurückziehen und

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