Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf
wurde später auf Weisung des Sultans erdrosselt. Dank Achmeds Tagebuch wissen wir, daß er dazu mit eigenen Händen seinen Vollbart anhob.
Das Volk klatschte Beifall
Falls jemand über die Brutalität der Türken die Nase gerümpft haben sollte, halte man ihm ein anderes Tagebuch unter dieselbe. Es wurde unter dem Titel
Nie war es herrlicher zu leben
erstmals im Jahr 2011 publiziert und war eine kleine Sensation: das geheime Tagebuch des Herzog von Croÿ, eines französischen Marschalls am Hofe des Königs Ludwig XV. Croÿs Tagebuch ist eine eindrucksvolle Quelle für die Usancen des höfischen Lebens, die Macht der Mätressen, die Stimmung im vorrevolutionären Frankreich, die Unfähigkeit der Staatsführung. Eine Quelle auch, die uns einen Staatsakt näher vor Augen führt, als wir es uns vielleicht gewünscht hätten.
Als am 5. Januar 1757 der offenbar schizophrene Robert-François Damiens den in seine Kutsche steigenden König angriff und mit einem Messer leicht ritzte, hielt der Hof den Atem an: Man wußte nicht, ob die Spitze des Messers giftgetränkt und das Fieber des Königs das erste Anzeichen der Agonie war. Als Ludwig XV. sich wieder erholt hatte, wurde Croÿ nach Arras in die Heimat des Attentäters geschickt, wo er eine Untersuchung durchführte. Damiens wurde zu der Strafe verurteilt, die traditionell auf Königsmord stand. Das letzte Mal war sie beiRavaillac, dem Mörder Henri IV., vollzogen worden. Auch in England war sie üblich, wie man bei Pepys nachlesen kann, der im Oktober 1660 notiert: «Nach Charing Cross, um zuzuschauen, wie Major Harrison gehängt, ausgedärmt und gevierteilt wurde. Er sah sehr vergnügt dabei aus.»
Nach schwerer Folter wurde Damiens gevierteilt. Was sich leichter befehlen als in die Tat umsetzen ließ, wie Croÿ im Tagebuch berichtet. Nie ist diese Hinrichtung so detailliert geschildert worden; Details, in denen der König bei seinen Nacherzählungen vor Diplomaten
etwas
zu sehr schwelgte, wie selbst sein Verehrer und Speichellecker Croÿ zugeben muß.
Um ihn zerreißen zu können, spannte man für seine Schenkel zusätzlich die zwei Karrenpferde an, zog, trieb alle sechs Pferde auf einmal. Das verdoppelte nur sein Brüllen, das – denn so stark war dieser Mann – nicht leiser werden wollte. Die Henker, die sich nicht mehr zu helfen wußten, gingen im Rathaus nachfragen. Man beschied ihnen, daß er gevierteilt werden müsse. Man begann wieder mit dem stoßweisen Zerren der Pferde. Die Schreie verstummten nicht, aber die Pferde begannen von ihrem Stampfen auf der Stelle müde zu werden. Daraufhin erlaubten die Richter, daß man ihn inStücke haue; ein Henker hieb in den Schenkel und ließ zugleich die Pferde ziehen. Damiens hob noch den Kopf, um zu sehen, was man mit ihm mache, und er, der Gotteslästerer, stieß keine Flüche aus, sondern wendete seinen Kopf immer wieder zum Kruzifix und küßte es. Die Beichtväter redeten auf ihn ein. Schließlich, nach anderthalb Stunden dieser durch ihre Dauer beispiellosen Qualen, riß zuerst der linke Schenkel ab. Das Volk klatschte Beifall. Bis dahin schien es nur gleichmütig neugierig gewesen zu sein. Dann riß, durch das Hineinhacken, der andere Schenkel ab. Dann hieb man in eine Schulter, die schließlich abgetrennt wurde. Das Schreien verstummte nicht, war aber viel schwächer geworden. Der Kopf bewegte sich noch.
Dagegen nehmen sich die Osmanen schon wieder zivil aus … Ein Genrebild aus der Zeit, von der Talleyrand gesagt hatte, wer sie nicht kennengelernt habe, der wisse nicht, was die
douceur de vivre
sei.
Sarajevo
Ähnliches wurde von der letzten Donau-Monarchie gesagt. Das welthistorische Attentat, das ihr Ende einläuten sollte, wurde in seiner Bedeutung von niemandem sofort erkannt. Notorisch ist der Eintrag Kafkas vom 2. August 1914: «Deutschland hat Rußland den Krieg erklärt». Punkt, Gedankenstrich. «Nachmittag Schwimmschule». Wie kann er nur! Die Leser von heute hätten sich etwas mehr Betroffenheit und einen weniger leichten Übergang zum Tagesgeschäft gewünscht – aber diese Leser sind Heuchler. Erstens hatte Kafka diese
hindsight
noch nicht, und zweitens fände man, wenn man in ihren Tagebüchern nachblättern würde, die gleiche Verteilung von Privatsorgen und Sorge ums Weltenwohl.
Was nicht heißt, daß es nicht auch hellsichtigere Zeitgenossen gab, die bald ahnten, welche Katastrophe sich anbahnte. Das Tagebuch Arthur Schnitzlers zeigt, wie früh man Bescheid wissen konnte, wenn
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