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Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Titel: Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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würde ein Lektor ankringeln. Aber gedankliche Unschärfen unterlaufen beim Tagesgebet wohl jedem. Immerhin ist es schon elf Uhr abends, als Goetz einen sehr elementaren Denkfehler begeht.
    Montag, 16.3.98, Berlin […] 2301. Beim Blättern in der Zeitung, da ist die Seite mit den Todesanzeigen. Mal kucken, ob ich schon tot bin. Das war aber kein Witz, sondern ein völlig ernst gemeinter Gedanke, ganz kurz. Dann kam er mir ein bißchen komisch vor.
    Überhaupt nicht komisch, sondern tiefernst und finster ist dieser Gedanke bei einem anderen, dem mit großem Abstand beeindruckendsten Blog überhaupt: Wolfgang Herrndorfs
Arbeit und Struktur.
«Messieurs, wir erheben uns von den Plätzen!» hätte Arno Schmidt gesagt. Aber das wäre genau Herrndorfs Sache nicht.
     
Schwarzes Quadrat auf schwarzem Grund
    Seit bei dem Autor im Frühjahr 2010 ein bösartiger Hirntumor festgestellt wurde, kämpft Wolfgang Herrndorf, der Autor des großen Jugendromans
Tschick
und des grandiosen schwarzen Monolithen
Sand,
gegen die immer schneller verrinnende Zeit. – Klischee: Sie verrinnt weder schneller noch langsamer, sie wird nur knapp. Wieder Klischee: Zeit ist kein Reissack, aus dem es herausrieselt undder irgendwann leer ist. Aber was ist sie dann? Herrndorf hat sich auch darüber Gedanken gemacht.
    20.8.2010 16:20
[…] Meine derzeitige Ansicht ist (und ich kann sie logisch nicht begründen, ich befinde mich für mich selbst überraschend jetzt auch außerhalb der Klapse auf einer religiösen «Ich fühle aber so»-Argumentationslinie), daß der winzige Bruchteil der Sekunde, in dem ich zwischen Vergangenheit und Zukunft zu Bewußtsein komme, im Vergleich zur Unendlichkeit dieses Universums auf ein Nichts zusammenschrumpft, auf mathematisch Null. Ein Wimpernschlag, und der Wimpernschlag ist vergangen. Ein Wimpernschlag, und 12,5 Milliarden Jahre sind vergangen. Was sich ändert, existiert nicht. In meinen Momenten der Hypomanie sehe ich noch immer im Zeitraffer die Sonne sich auf blähen und unser Weltall plastisch auseinanderfliegen. Ich bitte trotzdem, mich nicht wieder einzuweisen.
    Die Krankheit hatte dazu geführt, daß sich Herrndorf wegen einer Psychose selbst in die Klinik hatte einweisen lassen (in einem Pinguinkostüm, das gerade im Badezimmer herumlag). Er hatte geglaubt, die Weltformel gefunden zu haben. Was er damals vom Wesen der Zeit erkannt hat, verwischt sich auch nicht, als der Wahn abgeklungen ist.
    23.4.2010 13:01
Das Wesen der Zeit mag unerfindlich sein, und was ich über Präsentismus, Blockzeit und Possibilismus auf Wikipedia nachlesen kann, verstehe ich bestenfalls als Konzept. Aber in meinen täglichen und nächtlichen Gedanken gewinnt die Vorstellung der Unendlichkeit und des Nichts, zu dem unsere Existenz ihr gegenüber zusammenschrumpft, so sehr an Plastizität, daß ich manchmal glaube, alles verstanden zu haben. Alles verstanden zu haben. Die Gewißheit kommt schlaglichtartig und ist nicht so hundertprozentig wie in den Momenten der größten Verrücktheit. Aber irgendwas ist hängengeblieben. Gestern beim Fahrrad Reparieren alle zwei Minuten eine Erleuchtung.
    In seinem Blog, den er seit dem März 2010 monatlich einstellt, gibt Herrndorf nach neun Lieferungen die Rückblende darauf, wie alles begann. Kopfschmerzen, Taumel, Fehldiagnose Sinusitis, wieder Kopfschmerzen, Wahrnehmungsverlust, 110, «dann an der Schulter des Sanitäters vier Treppen runter».
    Im Krankenhaus wird ein CT gemacht, und ich liege im Bett, als Dr. S. kommt und mir das CT zeigt und von einer Raumforderung spricht. Ich frage,ob wir das Wort nicht besser durch Tumor ersetzen wollen, aber er bleibt, wie auch die anderen Ärzte in den folgenden Tagen und Krankenhäusern, lieber bei Raumforderung. Ich strecke meine Hand wortlos nach hinten, er ergreift sie und drückt sie einige Sekunden.
    […]
    Die Histologie verschiebt sich immer weiter, am 25.2. ist es soweit: Prof. Moskopp erklärt, es sei ein Glioblastom. Das ist etwas Gehirneigenes, das bildet keine großen Metastasen, wächst nur sehr schnell, läßt sich nicht endgültig bekämpfen und ist zu hundert Prozent tödlich.
    13.3.2010 11:00
Gib mir ein Jahr, Herrgott, an den ich nicht glaube, und ich werde fertig mit allem. (geweint)
    24.3.2010 18:49
[…] Laut Apogenix-Website überleben weniger als 30 % der Glioblastome das erste Jahr. Bisher waren es immer siebzig. Dreißig, siebzig, whatever: Old Karnofsky und ich fahren eh mit dem Taxi.
    30.3.2010 13:09
Sechs Kohlenstoff,

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