Heute bin ich blond
wenn man zu fragen vergisst, wozu das noch mal gut ist. Ich meditiere jetzt, zumindest versuche ich, mich darum zu bemühen. Ich glaube, ich befinde mich irgendwo in der Phase der Kontemplation und Konzentration.
Beim Schreiben merke ich, in was für ein Klischee ich geraten bin. In ein Klischee von krank werden, so tun wollen, als wäre man gesund, bewusst leben wollen. Beziehungsweise von Naturkostläden, Philosophie, Yoga und Meditation. Ruhe, Spiritualität und Lächeln. Ein Freund auf der Reservebank. Dann zünde ich die Kerzen wenigstens für irgendetwas an. Eine Schwester, die mich liebt und auf einen Kaffee bei mir hereinschaut, statt Kosmopolitin in Hongkong zu sein. Eine Katze, die am Fenster auf mich wartet, Eltern, die noch glücklich miteinander sind und zum Glück meine Eltern sind. Und ein Körper ohne allzu schlimme Anomalien.
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Freitag, 24. Juni 2005
»Und deshalb brauche ich eine Kopf- MRT .« Doktor L. nickt, murmelt noch etwas wie: »Damit du beruhigt bist, ich selbst mache mir da keine Sorgen« und füllt das benötigte Formular aus.
Ich bilde mir ein, in meinem Kopf wächst etwas. Ein hirntumorartiges Etwas. Schon seit einigen Wochen habe ich ständig Kopfschmerzen. Ich spüre Stiche, Hubschrauber landen zwischen meinen Ohren, und meine Nase läuft und läuft. In der medizinischen Bücherei des AMC habe ich gelesen, dass so eine Rotznase ein Hinweis auf etwas sein kann, das da oben nicht hingehört. Und dass bei meiner Krankheit ein Tumor im Kopf manchmal in die Lunge streut. Nach einigen Hubschraubern, Angstanfällen und zwei Nachmittagen in der medizinischen Bücherei habe ich meine wacklige Argumentation meinem Arzt vorgetragen.
Doktor L. greift zum Telefon. »Mittwoch, neunundzwanzigster Juni, sieben Uhr fünfzig«, sagt er. Das ist in ein paar Tagen.
»Hast du dir’s aufgeschrieben?«
»Ja, nächsten Mittwoch um zehn vor acht.«
»Gut, dann sehe ich dich danach in der Ambulanz. Bis dahin bist du doch wieder auf den Beinen?«
»Ja. Die wievielte Chemo ist das eigentlich?«
»Da muss ich mal nachschauen. Das sind sieben, das acht, neun, zehn, elf, Moment, zwölf, ja, die zwölfte. Geht schnell, was? Schon fast Halbzeit.« Doktor L. nickt mir aufmunternd zu.
»22. Woche« steht oben auf meiner Filofaxseite. »Wann bekomme ich das Ergebnis?«
»So schnell wie möglich. Am nächsten Tag, hoffe ich, dann kann ich dir auch mehr zum Rest der Behandlung sagen. Ich habe am Mittwoch eine Arbeitsgruppe im AMC , da besprechen wir die Möglichkeiten von Bestrahlung und Operation. Aber noch mal: Eine Operation kommt wohl nicht in Betracht.«
Doktor L. schnuppert herum und trifft sich mit anderen Wissenschaftlern, Professoren und Strahlentherapeuten, um zu entscheiden, wie es mit mir weitergehen soll. Wenn sie schneiden wollen, dann muss es jetzt sein. Zwar haben bisher alle Ärzte, denen ich meine Krankenakte vorgelegt habe, den Kopf geschüttelt, aber ich hoffe weiter auf eine Operation. Meine Tumoren sehen nach sechs Monaten Chemotherapie ganz anders aus als noch vor einiger Zeit.
»Ach übrigens, diese Perücke« – Platina –, »die finde ich nicht gut, die macht dich alt.«
»Inzwischen fühle ich mich auch alt.«
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Mittwoch, 29. Juni 2005
Ich bin extrem angespannt. Schon seit zwanzig Minuten liege ich mit riesigen Kopfhörern und einem Gitter über dem Gesicht da und horche auf ein Geräusch, das an die Bohrmaschine meines Nachbarn an der Gracht erinnert.
Plötzlich verstummt der Lärm. Zwei fremde Gesichter schweben über mir. »Wir müssen noch etwas Kontrastmittel nachspritzen, um besser sehen zu können.«
Scheiße, sie sehen was. Da ist was. Scheiße, es sitzt in meinem Kopf.
»Ist es schlimm?«, frage ich.
Die beiden fremden Köpfe sehen sich an und holen den Radiologen dazu.
Ich werde von Sekunde zu Sekunde ängstlicher.
»Bis jetzt sieht alles gut aus, wir wollen nur noch …« Weiter kommt er nicht.
Ich breche in Schluchzen aus, meine Schultern zucken. Und während ich auf die letzten Geräusche der Bohrmaschine horche, wird mir klar, dass ich immer mehr Vertrauen zu meinem Arzt fasse.
Endlich komme ich in der Ambulanz an. Judith läuft eilig hin und her. Wirbelwind wird sie von den anderen Schwestern genannt. Ich begrüße die Anwesenden, setze mich in einen Flugzeugsessel am Fenster, nuckle an einem Löffelbiskuit und drücke auf PLAY . Die Chemo kann kommen.
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Donnerstag, 30. Juni 2005
Rob und ich sitzen in Ouderkerk aan de Amstel
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