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Heute bin ich blond

Heute bin ich blond

Titel: Heute bin ich blond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie van der Stap
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opfert ohne weiteres ihre Zeit, um eine gesunde Gemüsesuppe und andere Gerichte für mich zu kochen. Wenn sie mit ihren liebevoll zubereiteten Eintöpfen in mein Zimmer kommt, dann hoffe ich, dass ich mit genauso einem liebevoll zubereiteten Eintopf bei ihr hereinspazieren würde, wenn alles umgekehrt wäre. Mehr Nähe geht nicht, und das ist meiner Schwester nur zu bewusst, wenn sie mit ihrer Jutetasche zwischen den Ökotypen im Naturkostladen steht. Von ihrem Freund höre ich manchmal, wie sehr sie mit Schuldgefühlen zu kämpfen hat, wenn sie von einem Besuch bei mir zurückkommt und wieder gesehen hat, wie bei mir die Zeit stillsteht. Aber schwieriger, als für sich selbst zu leben, erscheint es mir, so sehr für andere zu leben. Meine Familie lebt jetzt für mich, das zeigt sie mir immer wieder.

[home]
    Donnerstag, 9. Juni 2005
    »Du hast Glück, Mädchen, wenn man jung ist, hat man bessere Heilungschancen.« Der Mann gegenüber schaut mich an, als hätte ich das große Los gezogen. Auch sein Nachbar macht ein Gesicht, als wäre meine Krankheit nichts gegen seine.
    »Bitte?«
    »Ja, wirklich. Wenn man jung ist, kommt es nicht so leicht wieder, wie wenn man so alt ist wie wir.«
    Meine Perücke steht zu Berge. Ich auch.
    »Hast du schon mal dran gedacht, wie gut du’s vielleicht hast, dass du hier in aller Ruhe am Tropf sterben darfst, weil du verdammt noch mal ein Alter erreicht hast, in dem du drüber nachdenken solltest, welches eigentlich deine Hobbys sind?« Wie gern hätte ich das gesagt. Aber nein, ich lächle und drehe den Kopf weg. Noch zwei Nächte, dann darf ich nach Hause, und dann bin ich auch wieder ein Jahr weiter.
    Ich krieche vorsichtig unter die Decke, der Nacht entgegen. Weinen, das tue ich hier, jeden Abend. Weinen aus Einsamkeit, weil ich mit meinen einundzwanzig Jahren am Tropf hänge, während meine vierzigjährigen Freunde ihr Leben koksend in der Kneipe verbringen. Im selben Raum mit drei alten Leuten denke ich daran, wie mein Leben war, ehe vor neunzehn Wochen alles anders wurde. Viel einsamer geht’s wohl kaum noch.

[home]
    Freitag, 10. Juni 2005
    »Isst du heute Abend mit? Hühnchen mit Pommes?« Schwester Esther steckt den Kopf durch den Vorhang. Sie holt mich aus dem Mehrbettzimmer raus. Ich bin die sauren Mienen meiner Zimmergenossen leid, und gerade ist ein Einzelzimmer freigeworden. Eine gute Nachricht für mich, keine so gute für die Angehörigen des leergewordenen Bettes.
    Esther ist anders als die anderen Krankenschwestern. Lieb sind sie alle, aber Esther ist schön
und
lieb, und was besonders wichtig ist: Sie ist jung. Mit Esther kann ich über alles Mögliche reden – Lieblingsplätze, Kneipen, Make-up, iPods, Jungen –, weil sie noch mehr Interessen hat als nur ihre Arbeit. Mit ihren feuerrot gefärbten Haaren legt sie in ganz Amsterdam und Umgebung auf, und Dienstags schaut sie wie ich und Millionen andere Frauen
Desperate Housewifes
. Sie ist normalerweise dienstags und mittwochs hier, heute aber auch am Freitag. Das bedeutet, dass ich unsere gemeinsame Leidenschaft genieße, während sie zwischen den Chemobeuteln herumturnt. Hoffentlich liegen auch alle anderen Patienten auf der Station ruhig in ihren Betten und genießen die amerikanische Kultserie. Dann würden sie die Finger von der Klingel lassen, die beim Fernsehen stört. Aber leider ist in meiner Lieblings-Krankenhauszeit eine Menge los, und Esther rennt weiter ihre Runden.
    Ich erzähle ihr vom Tanzen und Knutschen mit Krawatte vor ein paar Tagen.
    »Hast du ein Foto?«
    »Nein.«
    »Schade. Isst du jetzt mit?« Sie hat die Speisekarte vom Saladetuin in der Hand, dem Schnellimbiss um die Ecke.
    »Ja, gern« – gut schmeckt es da allerdings nicht – »bestellst du schon?«
    »Nein, nein, erst um fünf.« Sie legt die Speisekarte auf mein Bett und stöpselt mich von der Steckdose ab.
    Wir fahren los, Richtung Zimmer zwei. Bas kümmert sich um den Rest des Umzugs, Pantoffeln und so. Es ist Viertel vor vier, eine Zeit, die sich im Krankenhaus ganz anders anfühlt als im normalen Leben. Esther hat eben erst angefangen, aber für mich ist schon ein ganzer Tag geschafft. Der größte Teil davon jedenfalls, denn Besuch bekomme ich meistens erst nach fünf. Gleich kommen Oma und meine Eltern, dann Annabel, dann Rob. Annabel sitzt fast täglich an meinem Bett, wie meine Eltern und meine Schwester, bis der blaue Himmel grau wird, die Stimmen im Flur allmählich verstummen und ich mit meinem langen Freund und

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