Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heute bin ich blond

Heute bin ich blond

Titel: Heute bin ich blond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie van der Stap
Vom Netzwerk:
Und Scheiße, weil meine nächste Kontrolluntersuchung immer näher rückt.
    Ich hasse alles. Den ganzen Dezember mit allen seinen Feiertagen. Alle Knecht Ruprechts, Pfeffernüsse, Familienessen, ekligen fetten Ölkrapfen, Austern und Champagner. Ich hasse das Heute und alles, was darin vorkommt. Ich hasse mich selbst, weil ich mir von so einem Blödmann so weh tun lasse. Weil es mich mehr nach seinen Armen verlangt als nach Annabels, die doch immer für mich da sind. Ich hasse die Stiche in meinen Körper, die mir immer wieder Angst einjagen. Ich hasse meinen Tumor mitsamt seiner Familie. Ich hasse meinen Krebs. Ich hasse meinen Körper.
    Ungeduldig schaue ich auf die Uhr, die noch nicht mal halb neun zeigt. Ich setze noch einmal Tee auf und verfolge angespannt den Sekundenzeiger, acht Minuten lang. Ich habe einen Plan. Einen Notfallplan. Ich nehme das Telefon und wähle die Nummer meiner Ambulanz. Meiner Ambulanz im OLVG und meiner Ambulanz im Erasmus MC in Rotterdam. Meiner Ärzte. Ich überrede beide, die Untersuchung vorzuverlegen. Angeblich wegen verdächtiger Stiche. Ich kann ihnen doch nicht erklären, dass ich ohne Rob keinen Ausweg mehr sehe? Und wie erkläre ich das meinen Eltern, meiner Schwester und dem Rest meiner zitternden Familie?
    Meine Tante weiß Rat. Ich rufe sie an, und nach einer halben Stunde bin ich immer noch am Schluchzen. Sie muss auch schluchzen, wegen ihrer jungen großen Nichte, die plötzlich wieder so furchtbar klein ist. Gleich danach rufe ich Pap und Mam an, die inzwischen schon vom OLVG angerufen worden sind, weil bei mir besetzt war. Ich habe ihnen einiges zu erklären.
    »Mam?«
    »Na, Schatz, wie fühlst du dich?«
    Es klingt fürsorglich und lieb. Aber auch ein bisschen bekümmert.
    »Nicht so gut. Ich hab gerade meine Untersuchung vorverlegt. Ich halte die Ungewissheit nicht mehr aus. Ohne Rob.«
    »Verstehe, Schatz. Das OLVG hat eben angerufen, die Untersuchung ist jetzt am Dienstag, dem Neunundzwanzigsten. Kann ich mit?«
    »Das ist lieb. Ich weiß noch nicht, ich hätte gern Jur dabei, mal sehen, ob er kann.«
    »Okay, Schatz, kommst du gleich nach Hause? Ich mach dir eine Tasse Tee.«
    Annabel kommt herunter. »Ich schlafe heute bei Bart.«
    »Oh.«
    »Diese Tage sind für mich auch die Hölle, Süße, das musst du verstehen.«
    »Ich versteh’s ja, Süße, keine Angst. Ich mach’s mir auf dem Sofa bequem.«
    »Du bist nicht allein, Phie. Wir denken an dich, wir alle.«
    »Ich fühl mich so einsam.«
    »Ich bin für dich da. Wir alle sind für dich da.«
    Das hatte ich einen Moment lang vergessen. Alle um mich herum denken an mich, jeder auf seine Weise. Jetzt ist mir das wieder bewusst, und ich begreife, dass ich im Grunde nie allein gewesen bin.
     
    Vielleicht hilft eine neue Frisur, ein neuer Kopf, der nichts mit Rob zu tun hat, weil er ihn nicht kennt. Oder vielleicht verliebt er sich wieder in mich, wenn er dieses attraktive, blonde junge Mädchen sieht. Im Theaterladen wähle ich eine sehr aufreizende, sehr blonde Perücke. Mit Locken, die mir bis über den Nabel reichen. Ein bisschen russisch, das passt zu meinem neuen Singlestatus. Ich nenne sie Bebé, weil ich Bebé so mag und sie außerdem ungeheuer attraktiv finde. Bei Bijenkorf besorge ich mir ein neues Make-up. Dicker schwarzer Eyeliner und lila Lidschatten.
     
    Noch sechs Tage. Fünf Nächte, dann liege ich dort. Noch sieben Tage. Sechs Nächte, dann werde ich in sein weißes Zimmer geführt. Da ist dann alles möglich. So viele Zauberformeln haben sie nicht mehr in petto. Ich habe Angst. Ich laufe und laufe, ohne zu wissen, wo ich hinwill. Schließlich setze ich mich auf eine Bank.

[home]
    Freitag, 25. November 2005
    »Fam und Floor haben also dein volles Vertrauen?«
    Der junge Mann, der mir gegenübersitzt, nickt, und seine Dreadlocks schlenkern hin und her.
    »Wir schauen es uns ein paarmal an, und wenn es gut ist, kannst du die zwei Monate voll machen. Danach sehen wir, ob du in der einen oder anderen Form bei uns bleiben kannst.«
    Ich bin in die Redaktion von
NL 20
eingeladen, auf Empfehlung von Fam und Floor, zwei freien Mitarbeiterinnen, die auch Nachbarinnen von mir sind. Inzwischen hat mein Nachbar ein Blog für mich angefangen, um Interesse für meine Geschichte zu wecken. Denn ich will schreiben, nach Möglichkeit mit einem Verlag.
    Ein tuntig wirkender Junge in einem dreifarbigen Adidas-Trainingsanzug geht vorbei.
    »Oh, hast du schöne Haaaaare!« Es klingt höchst theatralisch. Auf

Weitere Kostenlose Bücher