Heute bin ich blond
zu denken. Das funktioniert gut, denn sie ist im Urlaub.
Rob und ich sind den ganzen Abend zusammen. Wir reden und reden. Darüber dass wir uns so lieb haben. Dass es ihm so leid tut. Dass wir immer Freunde bleiben werden. Usw.
Wir sind also Freunde. Schön, diese Freunde. Rob, Jur – Freunde. Was bin ich froh über so gute Freunde.
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Samstag, 3. Dezember 2005
Eine Reporterin mit einer Zukunft. Das bin ich. Einfach so, von einem Tag auf den anderen. Von Mittwoch auf Donnerstag. Von der Ungewissheit zu einem Halt, einem Plan. Von der Infusion zum Notizblock, einer Deadline. Eine Ex-Krebspatientin. Ich mag die Silbe Ex nicht, schon gar nicht in der Kombination mit einer für mich selbstverständlichen Wirklichkeit. Eine enorme Entlastung, aber das »Ex« ist noch sehr ungewohnt. Ich habe einmal geschrieben, die Welt liege mir nicht mehr zu Füßen, dort lägen jetzt die anderen Patienten der C6. Heute ist das anders. Heute kann ich sagen, dass die Welt noch nie so nahe an meinen Füßen gelegen hat. Denn heute bin ich eine Reporterin mit einer Zukunft.
Ich schlage das
NRC
auf und suche den Teil »Leben Etcetera«.
Rob sitzt neben mir, er ist genauso begeistert wie ich. Nach zwei Wochen ohne ihn fühlt es sich gut an, dass er wieder neben mir sitzt und meine Hand hält. Solange wir die Existenz von Mädchen mit langen Beinen vergessen, ist es wieder wie vor zwei Wochen.
SOPHIES PERÜCKEN lese ich oben auf der Seite. Vier Fotos sind dort abgedruckt, das von mir und meinen hochgereckten Mittelfingern, Platina, Oema und Sue.
»He, schau mal, das ist auch mein Debüt!« Rob zeigt auf das Foto von Oema, das er vor drei Monaten in Luxemburg aufgenommen hat. Ich lese ihm den Artikel vor, und bei jedem Wort strahlt Rob noch ein bisschen mehr. »Sieh einer an! Ich bin ja so stolz auf dich! Ha, ha, die Kleine!«
Unsere Hände bilden zusammen eine Kugel. Wir lassen nicht los.
»Rob, wann lässt du den Quatsch mit den langen Beinen, und wir machen Babys? Ich kann sie ja von einem wilden Kolumbianer entführen lassen, oder noch besser, von einem wilden Pavian.«
Rob lacht, aber es bleibt eine Spannung. Eine Spannung, weil wir uns so schrecklich lieb haben. Und deshalb so schrecklich gern zusammen sind. Ich werfe noch einen Blick auf meinen Artikel, der auf dem Kaffeetisch liegt. Was für ein Tag – als Krebspatientin im Glamourkleid in der Zeitung. Mein Abend mit Krawatte, im Verborgenen erlebt, jetzt offen auf dem Tisch. Fühlt sich gut an.
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Dienstag, 6. Dezember 2005
Ehe ich mich’s versehe, ist Dienstagabend, und ich stehe vor einem ungeheuer schicken Gebäude an der Herengracht. Ich klingle, und jemand drückt auf den Türöffner.
»Guten Morgen, ich habe einen Termin mit einer Redakteurin.«
»Wie ist Ihr Name?«
»Sophie van der Stap.«
»Wenn Sie kurz hier warten – ich rufe mal eben in der Redaktion an.« Das Mädchen am Empfang zeigt auf eine Sitzecke aus schwarzem Leder. Auf einem weißen Tischchen liegen
Het Parool
, Verkaufsprospekte und
NL 20
. Ich nehme Platz und sehe mich neugierig um.
Die Wände sind aus Marmor, der Boden ist weiß gefliest. »Witjes« heißen die Fliesen, wenn ich mich recht erinnere. Mein Vater hat es mir einmal gesagt; er bringt gern mein Wissen auf Vordermann, wenn wir in Amsterdam durch die Innenstadt gehen. Zu allem weiß er etwas zu erzählen, ob es nun ein bestimmter Giebel ist, ein Straßenname oder eine Kirche. Vor einiger Zeit haben wir uns zusammen eine alte Kirche namens »Onze Lieve Heer op Zolder« – »Unser lieber Herrgott auf dem Dachboden« – angesehen, die sich im dritten Stock eines windschiefen alten Grachtenhauses im Rotlichtviertel versteckt. Es ist eine Schlupfkirche mit allem Drum und Dran: Orgel, Emporen, Bleiglasfenster und »Witjes«. Die engen, steilen Treppen und die vielen Besucher verursachten mir Beklemmungen und ermüdeten mich, so dass wir uns einen Moment auf einer Bank ausruhen mussten. Körperlich war damals nicht viel mit mir los, – was für ein Unterschied zu heute, nur zwei Monate später.
»Sophie? Kommst du?«
Die Redakteurin nennt mich zwar, ohne mit der Wimper zu zucken, »Autorin«, aber ich wage noch nicht zu hoffen, dass sie ein Buch mit mir machen will.
Krebspatientin geht mit ihren Perücken, ihrem Sodbrennen, ihren Tränen, ihren Arztgeschichten und Träumen an die Öffentlichkeit. Sprich: Krebspatientin goes celebrity.
Ich bin in die Sendung
De Wereld Draait Door
eingeladen und sitze in
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