Heute bin ich blond
der Maske. Verschiedene Perücken wandern durch den Raum. Rot, gefolgt von blond, gefolgt von brünett in kurz, lang und glatt, gefolgt von platinblond. Wer soll es werden? Oema, Daisy, Blondie oder Platina? Bebé oder Pam? Um mich herum Moderatoren und Talkshowgäste, gebügelte Hemden und kahlgeschorene Köpfe, Fotografen, Make-up, Medien, Public Relations und viel Lächeln. Ich in Pumps, Seidenbluse und Glamourrock. Termine vergessen, wie es sich für einen echten Promi gehört. Viel zu viel los. Starallüren. Um halb zehn aus dem Bett geklingelt für ein Interview. Heute Abend im Fernsehen. Ja, es ist richtig cool, ich zu sein, Krebspatientin zu sein.
Später im Klinikblättchen des OLVG : »Das Debüt einer ganz besonderen, vielversprechenden Autorin. Lesen Sie über Doktor C. – oder war’s Doktor K.? – und andere, über Erfahrungen und Erlebnisse einer jungen Krebspatientin im OLVG .«
Es gibt einen Markt für so etwas, da bin ich mir sicher. Ein paar schöne Fotos von meinem Kopf, vorher und nachher, eventuell auch eine Beilage mit meinen diversen Metamorphosen in der
Beaumonde
, ein Interview bei
Barend & Van Dorp
. Da wartet doch jeder nur darauf: ein bisschen Drama im Glamour-Outfit zum Frühstück in der Morgenzeitung, nachmittags in der Illustrierten beim Friseur oder abends im Boulevardfernsehen.
Ich muss nur zeigen, dass ein Leben mit Krebs möglich ist, dass ich nach wie vor lachen und Dinge genießen kann, zum Beispiel shoppen, mich aufbrezeln, ausgehen. Dass ein Leben mit Krebs auch ohne ausgemergelten Körper, Schmerzen und Kotzen ohne Ende möglich ist. Dass es unheimlich Spaß machen kann, Perücken zu tragen. Und dass das nicht nur für den Feld-, Wald- und Wiesenkrebs gilt, sondern auch für meinen. Ein unschuldiges junges Mädchen mit Krebs.
Wie Lance bei Oprah auf dem Sofa werde ich erzählen, wie der Krebs mein Leben schöner gemacht hat. Mit amerikanischem Lächeln werde ich auf dem Podium erscheinen, in einem straffen Saftkur-Körper, unter dem einen Arm einen Strauß Pfingstrosen für Oprah, unter dem anderen mein Buch. Und dann Oprah, die das Gejohle im Saal unterbricht: »
Look at you! Can you believe you had cancer? Audience, can you believe she had?
«
Am Abend, als ich nach meinem Auftritt nach Hause komme, ist mein Posteingang randvoll. Neunzig Prozent der Namen kenne ich nicht, aber am Betreff sehe ich, dass es Reaktionen auf mein Gespräch mit Cees Geel sind. Mir wird ganz warm vor Begeisterung über so viel Interesse. Um halb vier Uhr nachts fallen mir die Augen zu.
Date: Tue, 6 Dec 2005 20:39
From: Chantal
To: Sophie
Subject: hi sophie
Hab dich eben in De wereld draait door gesehen, ein freund hat mich angerufen und mir gesagt, ich soll schnell einschalten. Ich bin auch so eine mit krebs und musste direkt lachen, über die parallelen im tun und lassen, im umgang damit … Besonders der abschnitt, der vorgelesen wurde, über diesen Typ – hatte ein ganz ähnliches erlebnis. du mit deiner perücke, du konntest es ja gottseidank vertuschen, ich mit meinen bestrahlungsstreifen … Hab einfach gesagt, das ist der routenplaner zu meinen erogenen zonen … Was einem so alles einfällt als single, haha …
Ich hab übrigens keine perücken getragen, hatte zwar 1 gekauft, fand aber, die sitzt nicht gut, und bin lieber kahl und mit mütze durchs leben gegangen. Die leute, die einen anstarren und komisch reagieren … manchmal hab ich einfach gesagt »so sieht jemand mit krebs aus …«
Wohne übrigens in Amsterdam, sollte vorigen Sonntag auch zum T Dansant … Wetter war nicht wirklich okay, dachte, wenn’s weiterregnet ist das nicht der hit auf dem wasser.
Vielleicht denkst du jetzt, he, die will ich kennenlernen, vielleicht aber auch überhaupt nicht (schon wieder so 1 …). Nee, bin nicht so 1, steh genauso im leben wie du …
Vielleicht kriegst du jetzt 100 mails, dann verzeih ich dir …
Hab heute übrigens noch eine chemo gehabt, und du, wann wieder?
Vielleicht bis bald!
Grüße Chantal
[home]
Freitag, 9. Dezember 2005
Ich lehne mich in einem der geräumigen Flugzeugsessel in der Ambulanz des OLVG zurück. Es ist Freitagnachmittag, und ich bin wieder dran. Bei Matthijs van Nieuwkerk hatte ich alle Infusionen, Ängste und Ärzte vergessen, aber jetzt habe ich fürchterliche Kopfschmerzen. Ich höre einen Hubschrauber. Oma hört nichts, das sehe ich ihr an, aber schlau, wie sie ist, stimmt sie mir zu, als ich etwas über den Lärm
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