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Heute bin ich blond

Heute bin ich blond

Titel: Heute bin ich blond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie van der Stap
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fremden Betten aufzuwachen.

[home]
    Mittwoch, 14. Dezember 2005
    »Jan, wem steht Lila besser, Bebé oder Oema?« Farben kombinieren, das tun wir beide gern.
    »Kommt drauf an. Hast du’s auf einen Torero abgesehen oder auf einen Fußballvereinsvorsitzenden in Nadelstreifen?«
    »Eine swingende Krawatte? Jetzt schau doch mal.«
    Jan und ich haben uns ganz dem spanischen Rhythmus angepasst. Es ist kurz vor zehn, und wir wollen noch ein Glas Wein trinken und vielleicht etwas essen. Ich setze Oemas dunkelrote Haare ab und Bebés lange blonde Mähne auf.
    »Russisch blond und glänzend lila, ich weiß nicht. Fußballvereinsvorsitzender?«, zieht Jan mich auf.
    »Trotzdem schick«, murmle ich und streiche meine neue Seidenbluse glatt.
    Rubelina Lasziva Mongolia ist mein neuer Name. Jan tauft mich gern auf passende Namen um. Ein bisschen märchenhaft, aber vor allem russisch. Lockenwickler, »man-kennt-sich-ja« und Glamour, damit kann man mich glücklich machen. Das kostet mich allerdings einiges an Schneide- und Klebearbeit. Manche Kombinationen gehen einfach nicht, da kann ich noch so viel herumprobieren. Zum Beispiel würde ich nie wagen, Platinas Weiß mit einem wilden Muster zu kombinieren. Das wäre mir zu sehr Retro, und so bin ich nun wirklich nicht. Aber Bebés Blond zusammen mit den rosa Spaghettiträgern meines Minikleides könnte auch zu Missverständnissen führen.
    Ich achte mehr auf die Eigenschaften meiner Figuren. Als Pam ist vieles möglich, aber als neun verschiedene Damen hat man noch viel mehr Möglichkeiten. Deshalb steht auch eine wunderschöne grüne Seidenbluse für Oema und Sue auf meinem Einkaufszettel. Eine rosageblümte Bluse, um Daisy mehr Daisy werden zu lassen, und eine glänzende lila Bluse, um Bebé bei Laune zu halten. Alle haben sie so ihre eigenen Wünsche und Vorlieben.
    Wenn ich ausgehe, trage ich immer lang – und vor allem viel –, denn lange und viele Haare sind schon die halbe Miete. Bebé, Oema und Pam haben die meisten Diskotheken, Restaurants und andere Lokalitäten gesehen. Heute Abend ist es wieder so spät: Rotwein an der Promenade von Barceloneta. Nur Oema und Bebé sind im Koffer mit in die spanische Stadt gekommen, die Auswahl ist also auf Blond oder Rot und damit auf Lila oder Grün begrenzt.
    »Findest du die zu krass?«, frage ich.
    »Zu krass für einen Torero oder einen Fußballvereinsvorsitzenden? Glaub nicht.«
    »Dann lass ich sie auf.«
     
    In der Kneipe erzählt Jan von früher. Von der Zeit, als es das Richter noch gab, von der Zeit seiner Millionen, von seiner ersten Waschmaschine, die er von Hermann Brood hatte.
    »Tja, Kleines, wenn du im Fernsehen weiter so flirtest wie vorige Woche …«
    »Was ist dann?«
    »Nichts, nichts, ich sag nichts. Man wird sehen.«

[home]
    Donnerstag, 15. Dezember 2005
    Ich sitze in der ersten Reihe. Ganz allein, hinter mir Dutzende leerer Bänke. Jan steht draußen und hält das Gesicht in die Sonne. Ich bin müde, richtig müde, und die Gedanken wirbeln durch meinen Kopf. Plötzlich ist mir alles zu viel, und ich fühle mich in der Leere dieses Kirchenraumes genau am richtigen Platz. Weg von draußen, vom spanischen Leben, aber auch von meinem Leben, in dem alles so schnell geht. Geborgen hinter den freundlichen Mauern meines Freundes.
    Ich sehe Kerzen und überlege, für wen ich welche anzünden soll. Die erste zünde ich für Annabel an, die zweite für Mama, die dritte bleibt geheim. Dann höre ich auf, sonst nimmt das kein Ende, so viele Engel sind um mich herum. Morgen ist auch noch ein Tag, auch noch ein Moment. Zwei verhutzelte Spanierinnen schlurfen vorbei. Ehe sie innehalten und wie ich vor dem Lichteraltar stehenbleiben, wechseln wir einen warmen Blick. Die eine lacht mich mit ihren drei Zähnen an, die andere steckt eifrig Münzen in den Schlitz der riesigen Sparbüchse unter dem Altar. Sie haben ihren Moment, ich habe meinen Moment, dann verschwinden sie wieder, durch dieselben freundlichen Türen, durch die sie hereingekommen sind.
    Ich setze mich wieder in die erste Reihe. Die Frauen sind weg, ich bin allein. Ich lehne mich zurück und schaue meinem Freund gerade in die vertrauten Augen. Zwei Augen, die auf mich herabblicken, immer und überall. Plötzlich erscheint mir dieser Gedanke so schön. Immer und überall. Mein treuer Freund. Ruhe. Für ihn und für mich, in seinen Mauern. Ich beschließe, noch eine vierte Kerze anzuzünden, für ihn. Vielleicht sollte ich mir das zur Gewohnheit

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