Heute bin ich blond
sage.
Die Schwestern sehen mich prüfend an – ein Hubschrauber über dem Oosterpark? Ein Rettungshubschrauber ist für ein Krankenhaus nichts Ungewöhnliches, aber im OLVG kennt man so etwas noch nicht. Die Schwestern, die mich eben noch mit »Fernsehstar« und »berühmte Schriftstellerin« begrüßt haben, fragen sich jetzt, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe.
»Ein Hubschrauber?«, fragt Moniek noch einmal.
Die gelbe Flüssigkeit ist inzwischen in mir drin, der Beutel baumelt schlaff am Infusionsständer.
»Ja, ein Hubschrauber«, antworte ich. Ich schließe die Augen und lehne mich zurück. Die Infusionsnadel steckt in meiner dritten Titte. Plötzlich wird alles dunkel, so als würde mein Körper erst jetzt begreifen, was los ist. Der Hubschrauber in meinem Kopf läuft auf Hochtouren. Und da sind die vielen schlimmen Geschichten von denen, die es nicht geschafft haben. Sie ist wieder da, die Angst.
Aber am Dienstag im Scheinwerferlicht habe ich gestrahlt. Gestrahlt über meinen Sieg. Gestrahlt über mein Gespräch mit Cees. Gestrahlt über Matthijs’ rotes Hemd. Uff, diese Brusthaare! Ich hatte es nämlich mal wieder nötig. Zwischen Bridget und Cees Geel. Einfach tun, nicht jammern. So geht das bei mir.
Man sieht also, als Krebspatient hat man allerlei Möglichkeiten und Karrierechancen. Vielleicht mehr als eine Politologin oder erfolgreiche Hausfrau. Es gibt viele gute Geschichten, und es gibt viele schlechte Geschichten, aber das hier ist meine Geschichte. Eine gute Geschichte. Denn ich bin die Autorin.
Was soll ich auf meine Visitenkarte schreiben? SOPHIE VAN DER STAP , EX - KREBSPATIENTIN . LIVE STRONG .
Von: Sophie van der Stap
Datum: 12/10/05 12:32:58
An: Chantal
Betreff: Re: hi sophie
Hi Chantal,
die chemo macht mir gottseidank immer weniger aus, auch wenn es gestern wieder war, als würde ein hubschrauber in meinem kopf landen. Am 30. bin ich das nächste mal dran. Erst war’s immer montags, dann dienstags, jetzt ist es schon eine zeitlang freitags. Hab gestern abend viel geschrieben und in meinem buch »herumgekritzelt«. Jetzt geht es an den verlag … Nächste woche bin ich in Spanien, mit einem guten freund, ein paar tage in Barcelona. Jeder scheint die stadt wie seine westentasche zu kennen, nur wir nicht. Wir schreiben beide, das trifft sich gut.
Ab dem 19. bin ich wieder da. Dann mache ich mich mit meiner lektorin an die arbeit. In der woche bin ich mit jemandem verabredet, der mir wie du gemailt hat. In meinem alter und krank. Gehirntumor, glaub ich. Nicht sehr lustig. Wollen wir uns kurz vor unseren chemos treffen? In welcher gegend wohnst du?
Liebe grüße sophie
ps die kurzen haare stehen dir gut
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Dienstag, 13. Dezember 2005
Jan findet, die Flucht vor meinem Stress ist der ideale Vorwand dafür, den Winter gegen den Frühling einzutauschen. Und weil ich meistens finde, was er findet, und er manchmal findet, was ich finde, fahren wir für ein paar Tage nach Barcelona und lassen Rotwein und Rummel zu Hause. Wir fühlen uns wohl miteinander, und wenn wir das mal nicht tun, macht es auch nichts, denn wir können uns alles sagen.
»Jan, jetzt vergiss deinen Stolz mal, niemand will was von einem struppigen alten Hund.«
»He, du kleines Flittchen, jetzt reicht’s aber mit den Sprüchen.«
Richtigstellung: Jan kann
mir
alles sagen.
Wir stehen am Gate. Erst mal müssen wir
preboarden
. Preboarden? Ich untersuche genau die möglichen Bedeutungen des Wortes: Die Zeit nicht auf den hierfür vorgesehenen Sitzen verbringen, sondern dicht an dicht stehend? Sitznummern studieren? Sich mental auf die spanische Kultur vorbereiten? Fingernägel feilen? Pass bereithalten? Was tut der Mensch, bevor er boardet? Warten.
Gepreboardet wird aber nicht immer. Nur in den Sonderfällen, die sich Verspätung nennen. Das kommt bei dieser Fluggesellschaft aber zum Glück nur auf dem Hin- und auf dem Rückflug vor. Zwischen den anderen Preboardern stehend, frage ich mich allmählich, wieso ich mir das antue. Was daran so schön sein soll. Packen, noch mal packen – meine blonde Perücke und die schwarzen Pumps müssen auch noch mit –, zum Check-in-Schalter, Schlange stehen, boarden und jetzt auch noch preboarden, noch mehr Schalter, Check-in-Schalter, auspacken und keine Ahnung, was ich morgen früh zu essen bekomme. Es gab mal eine Zeit, da fand ich das alles toll. Jetzt nicht mehr. Ich mag es nicht mehr, fremde Tiere und Gemüsesorten auf meinem Teller vorzufinden und in
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