Heute bin ich blond
ganzen Brustkorb, bis zum Unterleib hinab. Die Adern dick angeschwollen von dem warmen Lebenssaft, der zügig durch meinen Körper gepumpt wird und meine sonst so bleichen Wangen rosa überhaucht. Die Fingerspitzen kribbeln. Die Schenkel werden weich. Nicht geräuschlos atmen, sondern lauthals nach frischer Luft schnappen.
Doktor K. sieht mich an. Lange. Er begnügt sich diesmal nicht mit einer Hand, er zieht mich an sich. Er küsst mich auf beide Wangen.
Bilde ich es mir nur ein, oder wird hier auf die gute alte Art geflirtet? Ich gehe rasch noch einmal die Komplimente durch, die er mir in der letzten Viertelstunde gemacht hat. Dazu sein durchdringender Blick und ein angespanntes Lächeln, als ich ihm von seiner großen Rolle in meinem Buch erzähle.
Ich sitze wieder in seinem Zimmer. In seiner Ambulanz, unter seiner Obhut. Einige Monate sind vergangen, seit ich zum letzten Mal allein mit ihm in einem Raum war. Wir hatten allerdings reichlich Vorwände für E-Mails, die ich auch weidlich ausgenutzt habe. Der Inhalt unserer Mails hat sich immer mehr verschoben, von medizinischen Notwendigkeiten auf Privatangelegenheiten. Bis vor ein paar Wochen war nur von Pneumonitis oder Endoskopie die Rede, viel weiter kamen wir nicht, aber jetzt bringt er besorgt den sogenannten »Medienhype« um meinen Arztroman zur Sprache. Und wo ich anfangs vorsichtig »Sehr geehrter Doktor K.« und »Gruß Sophie« geschrieben habe, tippe ich jetzt ungeniert »Lieber K.« und »Liebe Grüße Sophie« in den Computer.
Das Telefon klingelt. Ein überraschend dröhnendes Lachen, über das ich lächeln muss. Dann setzt er unser Gespräch über Lungenvolumen, Lungenfibrose und mein Buch entspannt fort. Und ja, wieder so ein Blick. Augenkontakt, einige lange Sekunden, so lange, dass ich subkutan zu glühen beginne. Ob er in diesen Sekunden an seine außerehelichen Eskapaden denkt? Schießen ihm Bilder durch den Kopf, wie er mich auf der Untersuchungsliege leidenschaftlich küsst? Oder ist das nur Wunschdenken auf meiner Seite des Schreibtischs?
Lächelnd verlasse ich das Zimmer. Mein Handy jammert, mein Ex-Freund findet mich ein »tolles Weib«, er hat mich schrecklich lieb und hofft, noch sehr lange so zu empfinden. Hofft? Hofft er das auch, wenn er auf ihr liegt? Verwirrung – auf meiner Seite.
Wieder jammert mein Handy. Es ist Jur, der wissen will, ob bei mir alles in Ordnung ist. Verwirrung – wieder auf meiner Seite. Ich träume von einem Jungen, der nicht von mir träumt, und mir wird heiß bei einem Arzt mit Lochmusterschuhen. Was willst du eigentlich, Sophie?
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Freitag, 13. Januar 2006
Ich gehe durch die Straßen und singe leise mit James Blunts rauher Stimme in meinem Ohr mit. Neben mir geht ein Junge mit einem Skateboard in der einen und einer komischen Tüte in der anderen Hand. Etwas Oranges schaut daraus hervor. Ich kann es nicht richtig sehen, aber es ähnelt einem riesigen Kürbis. Der Junge fragt mich nach der Uhrzeit.
Fünf Minuten später reden wir über die Partys im Club 11. Denn da arbeitet er, und da muss ich morgen hin, mit meinem Notizblock.
Am nächsten Tag stehe ich im Aufzug des TPG -Gebäudes, der mich ins oberste Stockwerk bringt. Seit meine rechte Lunge bestrahlt worden ist, nehme ich lieber den Lift als die Treppe, bei elf Stockwerken sowieso. Der Junge von gestern steht neben mir, aber er erkennt mich nicht wieder. Gestern war ich Pam, jetzt bin ich Oema. Oema passt besser zu der Party heute Abend. Ich schaue ihn noch einen Moment gerade an, aber es nützt nichts. Gelegenheit und Grund genug, ihn in Ruhe zu betrachten. Ich beschließe, es dabei zu lassen.
Oben halte ich nach guten Motiven Ausschau, ich bin schließlich beruflich hier und muss eine halbe Seite
NL 20
füllen. Normalerweise muss ich mir die Motive suchen und kann froh sein, wenn ich einen Bauernschädel mit Ohrring und – wenn ich Glück habe – Lederjacke erwische, aber diesmal schafft mein Speicherchip es kaum.
»Schön, die Wimpern, die hab ich auch.« Eine transsexuelle Blondine steht neben mir.
»Danke.«
Ich bekomme einen Kuss von einer Maske mit einem Jungen dahinter; »Stickerbitch« steht auf seinem Schildchen. Zwei lesbische Damen, mit Piercings behängt, mit schwarzem Make-up und roten Lippen bekleidet. Ich laufe hinter ihnen her.
Plötzlich sehe ich Krawatte, in seinen Chucks swingend. Ich tippe ihn an. »Krawatte!«
Er dreht sich um und erkennt mich auf Anhieb; durch das
NRC
weiß er inzwischen von meinen
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