Heute bin ich blond
genießen, Witze machen, flirten und Schuhe kaufen und uns dann fragen, wie oft wir sie wohl zum Schuster bringen werden. Gemeinsam noch lange nicht ins Gras beißen. Zwei Jahre haben sie ihr noch gegeben, die Wissenschaftler. Sie selbst gibt sich noch sehr viel mehr, und ich auch. Aber die vierzig wird sie nicht erreichen, sagt sie.
Eine Menge wurde uns genommen, aber eine Menge haben wir auch noch. Wir haben jede Sekunde, jede Minute und jede Stunde des Tages für uns. Jeden Tag der Woche für uns. Wir leben für uns und für die, die wir am meisten lieben.
Der Tag wird kommen, an dem auch ich meinem Todesurteil ins Auge sehe. Nicht jetzt, nicht morgen und, wenn es nach mir geht, nicht, ehe ich eine verschrumpelte Urgroßmutter bin. Dann werde ich an die Leere zurückdenken, die ich in diesem Jahr empfunden habe. Die Leere, als mir alle meine Träume genommen wurden. Einmal dachte ich, wie gern ich noch ein paar Jahre sicher hätte. In den paar Jahren sollten meine Haare wieder wachsen, so lang wie zu der Zeit, als noch alles anders war. Ich betrachte Chantal und denke an diese Leere zurück. Ich umarme meine neue Freundin, ganz fest. Schimpfend und mit Gänsehaut verlasse ich die Kneipe, aber ich muss auch lächeln. Ich weiß wieder genau, warum ich unbedingt meinen Arztroman schreiben will.
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Dienstag, 27. Dezember 2005
Ich steige in die Badewanne, ohne Kerzen und ohne Freund. Ich blättere in der
Elle
, und meine Augen bleiben am Jahreshoroskop hängen, das ich sonst, vernünftig, wie ich bin, überschlage, diesmal – wider besseres Wissen – aber nicht. Die Sterne, in rund siebenhundert Wörtern zusammengefasst, unterteilt in eine Charakteranalyse, Karrieregefasel und Liebesprophezeiungen. Und jetzt liege ich in meinem Schaumbad und habe die Nase voll.
In meiner Arbeit werde ich angeblich im September einen Rückschlag erleben. Schöne Aussichten – genau dann will ich doch mein Buch promoten. Ob ich das nicht besser verschiebe, oder eher vorziehe? Auch in der Liebe stehen einige Herausforderungen an, dabei habe ich die Letzte noch gar nicht verdaut. Ich werde im nächsten Jahr zwei Prinzen begegnen, von denen sich der Erste – der mir noch vor dem Sommer eine Enttäuschung bereitet – als der Prinz einer anderen entpuppen wird. Ich muss also auf den Zweiten spekulieren, der im Herbst vor meiner Tür steht. Denn der wird keine Eintagsfliege sein, der wird es ernst meinen. So weit die Frauenzeitschrift zu meinen Sternen. Kann ich auf die Sterne vertrauen? Soll ich Jur in Ruhe lassen?
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Freitag, 30. Dezember 2005
Chantal sitzt neben mir, mit einer Tasse Tee und einem Löffelbiskuit. Zehn Minuten nach Beginn kam sie herein, und jetzt, nach anderthalb Stunden, ist sie immer noch da. Wir haben uns gesucht und gefunden, glaube ich, ob bei einem Glas Wein oder einer Infusion. Die stört uns nicht. Lachen tun wir trotzdem. Wie ich macht auch Chantal alles, was mit dem Krankenhaus zu tun hat, am liebsten allein, ohne Familie, ohne Emotionen.
Chantal muss nächste Woche wieder zur CT , wie sich bei der Planung eines Brotbacknachmittags bei ihr in der Pijp herausstellt. Ob jemand mitkommt, frage ich.
»Du?«, sagt sie vergnügt.
»Au ja.«
Ja, wir haben Krebs, und das ist Scheiße, aber das Leben geht für uns beide einfach weiter. Auch für Chantal, der man vor einem halben Jahr gesagt hat, dass die Behandlungen nur noch einen Aufschub bringen. Am 9. Juni war das, da lag ich mit einem Verband auf meiner Titte auf der C6.
Ich frage sie, ob sie sich schon Gedanken über ihr Sarg-Event gemacht hat.
»Verbrennung.«
Unter der Erde verfaulen, das ist nichts für sie. Nein, für mich auch nicht. »Ah.«
»Und du?«
»Beerdigung. Ist doch schön für die Hinterbliebenen. Ich kann mir zwar vorstellen, verbrannt und dann verstreut zu werden, aber ich wüsste nicht, wo. Der Zorgvliet-Friedhof ist mir so fremd. Hast du dir schon was ausgesucht?«
»Einen Sarg? Nein, noch nicht. Kannst du den bestellen? Dann bestell ich deinen, wenn’s andersrum kommt.«
Wir müssen lachen bei dem Gedanken, dass ich ihren großen Tag organisiere und sie meinen. Wir wollen beide das Gleiche. Sie DJ Tiësto, ich die Rolling Stones.
»Das muss richtig toll werden«, sagt sie.
Chantal und ich reden genauso lässig über unseren Sarg wie über die letzten Stiefel, die sie sich gekauft hat, und zwischendurch blättern wir auf der Suche nach Anregungen die
Elle
durch. Besonders über Männer haben wir uns viel
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