Heute bin ich blond
schön. Wenigstens du.«
[home]
Dienstag, 30. Mai 2006
--------Ursprüngliche Nachricht----------
Von: Sophie van der Stap
Datum: Dienstag 30. Mai 2006 04:27
An: Dr. L.
Betreff: angst
Lieber Doktor L.,
ich hab ein bisschen angst. Ich spüre stiche, nicht vorn wie am anfang, sondern hinten im kreuz, den ganzen tag. Habe das gefühl, sie werden langsam stärker. Und das nach monaten ganz ohne.
Kann das von der bestrahlung kommen? Ich sehe so gesund aus, ich fühle mich sehr gut, und meine körperliche verfassung wird auch immer besser.
Ich habe angefangen, über die stiche buch zu führen, um zu sehen, ob sie schlimmer werden. Was hältst du davon?
lg
Subject: RE : Angst
Date: Tue, 30 May 2006 09:40
From: Dr. L.
To: Sophie van der Stap
Liebe Sophie,
kann es nicht mit Sicherheit sagen. Dass Du Dich so gut fühlst, ist ein gutes Zeichen. Sollten die Stiche anhalten, musst Du Deinen Termin vorverlegen. Hältst Du mich auf dem Laufenden?
Dr. L.
[home]
Montag, 19. Juni 2006
Ich lese Zeitung und muss zu meiner Schande gestehen, dass ich nicht weiß, worauf sich Kamagurkas Karikatur bezieht. Habe ich nicht Politologie studiert? Wo bin ich nur mit meinem Kopf?
Nicht in der Zeitung. Ich bin ganz woanders. In meiner eigenen Welt, von der ich mich so schwer lösen kann. Meiner Geschichte, ohne die ich nicht kann, aber will. Ich merke es immer wieder: mitreden im Straßencafé, wählen gehen – etwas Weibliches oder diesmal die Tierpartei? – neue Kontakte, alte Kontakte, Kontakte mit Männern. In diesen Momenten werden mir meine Grenzen am schmerzhaftesten bewusst.
Rob, der dabei eine so große Rolle spielt. Jur, der mich jedes Mal emotional blockiert, wenn ich einem anderen netten Mann über den Weg laufe.
Ich schlüpfe in meine Highheels, klebe meine Wimpern an und gehe aus. Ich suche Beachtung, Wärme und ein bisschen Vertrauen.
Und ich bekomme es, sogar das Vertrauen, aber ich bin nicht bei der Sache. Ich bin bei meinem Buch, das mein Leben an mehreren Fronten so stark bestimmt. Als greifbar gewordene Sophie, als Abschluss, als Vertiefung und vor allem als meine eigene Schöpfung. Meine Tumoren sind weg, mein Buch ist zu. Das ist schön, denn ich habe mich selbst so satt.
Da ist es nun, das Ende der Geschichte. Aber je greifbarer dieses Ende mit dem Beenden meiner Geschichte wird und je näher das Ende der Geschichte diesem Ende scheint, so wie es sich in den Gesichtern der Menschen um mich herum spiegelt, desto häufiger werde ich von der Angst überrascht, an meiner Krankheit zu sterben. Stiche in der Seite – sie machen mir weiter zu schaffen. Schweißausbrüche – da sind sie wieder. Kurzatmigkeit. Angst.
Ist es wirklich vorbei?
[home]
Dienstag, 20. Juni 2006
»Sophie, was genau hast du in dem Moment gemacht, als dir schwarz vor Augen wurde?«
Ich hebe vorsichtig die Lider und schaue direkt in Doktor L.s besorgte Augen. Er wartet geduldig auf eine Antwort. Mit ihm zehn andere Augen. Konzentriert, gespannt.
Ich lasse den Blick langsam über die Silhouetten wandern, die sich in den letzten fünf Minuten um mein Bett versammelt haben. Ich sehe Jur, diesmal im weißen Arztkittel mit Namensschild, meine Schwestern Pauke und Bas, den Stationsarzt, meinen Arzt und Doktor K. Letzterer schaut etwas unbehaglich drein.
Doktor L. wiederholt seine Frage.
Ich schließe die Augen und lasse alles zurückkommen. Von heute Nachmittag, heute Morgen, heute Nacht. Den ganzen Tag. Langsam kommt es wieder. Was soll ich sagen? Wie peinlich. Schrecklich, diese Ärzte, die alles wissen wollen.
»Ich bin gekommen«, antworte ich, als wäre es die selbstverständlichste Antwort der Welt.
Stille. Füßescharren. Verlegenheit meinerseits, aber auch bei denen auf der anderen Seite des Bettes. Vor allem Doktor L. scheint nicht zu wissen, was er mit dieser Information anfangen soll. Dann schallendes Gelächter von Jur und Bas.
»Tja, das kann jedem von uns mal passieren«, stottert Doktor L. »Warst du allein, oder war jemand bei dir?«, setzt Jur das Verhör fort. Es fängt an, ihm Spaß zu machen. Noch mehr Verlegenheit.
Doktor K. stiefelt mit schnellen Schritten hinaus, in den sicheren Hafen der Lungenheilkunde.
Ich schließe die Augen wieder und ziehe mir die Perücke übers Gesicht, um mich vor all den Blicken zu schützen. Ich geniere mich, aber gleichzeitig ist mir bewusst, dass ich auch diesen peinlichen Moment genieße. Ich habe eine zweite Chance bekommen, und ich kann es kaum
Weitere Kostenlose Bücher