Wieso bist du nicht im Büro?«
»Ich habe mir heute freigenommen.«
Erst jetzt bemerkt Pia, dass ihre Augen rot sind. Hat sie geweint? In ihrem Haar krabbelt eine Spinne.
»Warte mal!« Sie nimmt die Spinne vorsichtig zwischen Zeigefinger und Daumen und setzt sie auf die Fensterbank. »Was hast du gemacht?« Pia schaut die Großmutter fragend an.
»Ich habe Staub gewischt und die Spinnweben entfernt. Neun Jahre sind eine lange Zeit.« Ihre Stimme zittert ein wenig.
»Du hast es geöffnet? Aber wir wollten doch gemeinsam …« Pia ist furchtbar enttäuscht.
»Glaub mir, es war besser so. Ich habe nichts verändert, nur den Staub entfernt. Es ist auch so noch gruselig genug. Bist du ganz sicher, dass du es dir ansehen willst?«
»Ganz sicher! Ich habe es mir seit ihrem Tod gewünscht, habe davon geträumt, und Großvater hat immer gesagt, du würdest es öffnen, wenn die Zeit reif ist. Jetzt endlich!«
Mit wackligen Knien folgt Pia der Großmutter die Treppe in den zweiten Stock hinauf. Hier ist sie seit Jahren nicht mehr gewesen. Sie zögert kurz, als sie die geöffnete Tür sieht. Und dann steht sie zum ersten Mal seit neun Jahren wieder im Kinderzimmer der Mutter. Sie sieht die vertraute grüne Tagesdecke, am Kopfende sitzt Marie, die Puppe ihrer Mutter, mit der Pia spielen durfte, wenn sie hier war. Sie hebt sie hoch und drückt sie an sich, wobei eine Wolke von Staub aufwirbelt.
Pia muss husten.
Auf dem Schreibtisch steht das gerahmte Bild von Pia als Baby mit ihren Eltern bei ihrem ersten Besuch in Paris. Sie öffnet den Kleiderschrank und erstarrt. Da sind sie alle, die verloren geglaubten Kleider der Mutter, ihre Röcke, Hosen und Jacken.
»Wie kommen die hierher?«
»Dein Vater hat sie mir geschickt. Ich sollte sie für dich aufbewahren, um sie dir eines Tages zu zeigen.«
»Warum hast du mir nie davon erzählt?«
»Dein Vater hatte es verboten. Den Hut und die High Heels, das war für ihn Ordnung, aber den Anblick ihrer Kleider konnte er nicht ertragen.«
»Und ich? Was ist mit mir? Mich hätten ihre Kleider sehr getröstet.« Sie holt einen bunten Sommerrock heraus und mit ihm die Erinnerung an die Mutter, wie sie mit ihr durch den Garten getobt war, lachte und … Pia schnuppert, aber das Parfum der Mutter ist längst verflogen.
Sie holt ein Teil nach dem anderen heraus. Hosen, Röcke, Kleider, versteckt ihr Gesicht in dem Stoff, atmet tief ein auf der vergeblichen Suche nach dem vertrauten Geruch.
»Die Erinnerung wohnt in deinem Herzen, Pia, nicht in ihren Kleidern.«
Ganz hinten hängt ein Kleid in einer Plastikhülle.
»Darf ich?«
»Es gehört alles dir, Pia.«
Vorsichtig zieht Pia das Kleid aus der Plastikhülle. Es ist ein Traum in gelber Seide. Darunter stehen die passenden gelben High Heels.
»Sie hat es als Bezahlung bekommen bei ihrem letzten Catwalk hier in Paris.«
Pia zieht es an, dreht sich vor dem Spiegel, schaut die Großmutter an. »Sieh mal, Grand-mère, es passt genau!«
»Zum Verwechseln ähnlich«, sagt Pias Großmutter und wischt sich eine Träne aus dem Gesicht.
Kapitel 21
k. Stark geschminkt, die Bluse zwei KnöpfNacht in einem fremden Appartement verbringt
»Seht mal, wen ich mitgebracht habe!«, verkündet Gina und schaut etwas verlegen auf Leon und Pia.
Es ist der letzte Abend in Paris, alle fünf Models haben sich in einem Bistro am Eiffelturm verabredet. Nach dem Essen wollen sie durch das nächtliche Paris bummeln, dann vielleicht noch in einer Bar abhängen und all das tun, was sie nach den täglichen Castings vor lauter Müdigkeit noch nicht geschafft haben.
Pia starrt auf die junge Frau im roten Lederrock. Stark geschminkt, die Bluse zwei Knöpfe zu weit offen, der Busen sicherlich künstlich vergrößert.
lette an mich drangehängt!«
Auch Leon ist der Kuss sichtlich unangenehm. Für einen Moment steht er bewegungslos da, dann packt er die Hände der jungen Frau und stößt sie von ist müde und hat keine Lust auf neue Bekanntschaften. Wir werden eine Kleinigkeit essen und dann einfach gehen. Ehe sie aber Leon ihren Plan zuflüstern kann, passiert etwas, mit dem sie nicht gerechnet hat.
»Hi, Leon…ie!«, sagt die junge Frau, legt den Arm um ihn und küsst ihn mitten auf den Mund. »Chic siehst du aus. Beinahe hätte ich dich nicht wiedererkannt.« Sie pikst mit ihrem Zeigefinger in Leons Silikonbusen.
Nicht nur Pia erstarrt. Erschrocken schaut sie sich um, aber niemand in der Bar beachtet sie. Und Vanessa und