Umarmung. »Pass gut auf Pia auf! Und das Essen nicht vergessen. Für ein Model ist das Essen lebenswichtig.«
»Deine Großmutter ist ein Schatz«, sagt Leon zu Pia, als sie zusammen zur Metro gehen. »Und so typisch französisch. Das Essen kommt an erster Stelle.«
Kapitel 20
azin Models. Pia liebt Hüte, und der Dkierende Fotos findet
Am nächsten Tag verbringt Pia die meiste Zeit mit Warten. Warten vor den verschiedenen Hotellobbys, warten darauf, dass sie eine Nummer ziehen kann, warten darauf, dass ihre Nummer aufgerufen wird, warten darauf, dass sie die Nachricht bekommt, ob sie den Job hat oder nicht. Warten, warten, warten. Dann auf zum nächsten Casting, rein in die Metro und wieder warten.
Am späten Nachmittag geht es um Hüte. Ein junger Designer will seine neuesten Hutkreationen vorstellen und sucht für eine Fotostrecke in einem Magazin Models. Pia liebt Hüte, und der Designer liebt Pia. Als sie in ihren High Heels und mit ihrem Lieblingshut auf dem Kopf in den Raum spaziert, dauert es nur zehn Sekunden, bis er ruft: »Das ist sie! Das ist mein Hutgesicht.«
»Dann könntest du ja zum Essen kommen. Ich muss was mit dir besprechen.«
»Perfekt!«
»Super!«
»Genau so hab ich mir das vorgestellt.«
Es werden Probefotos gemacht. »In drei Wochen sehen wir uns hier in Paris wieder«, sagt er.
Pia lässt ihre Sedcard da, sie werden sich mit der Agentur in Verbindung setzen. Pia hat ihren ersten Job. Es ist so schnell gegangen, dass sie das erst begreift, als sie draußen vor der Tür steht. Ihr erster Job!
Leon hat sein Handy abgeschaltet, so kann sie nur der Großmutter von ihrem Erfolg berichten. »Ich gratuliere dir, Pia«, sagt sie, und dann nach einer Pause: »Hast du heute Abend schon was vor?«
»Nein, Leon hat sein letztes Casting um 21.00 Uhr. Den sehe ich heute nicht.«
»Dann könntest du ja zum Essen kommen. Ich muss was mit dir besprechen.«
»Ist was passiert? Deine Stimme …«
»Keine Sorge. Es ist alles in Ordnung.«
Trotzdem hat Pia ein ungutes Gefühl, als sie sich nach dem letzten Casting auf den Weg macht. Die Großmutter ist noch nicht da.
In dem großen Haus am Bois de Boulogne, in dem die Großmutter seit dem Tod ihres Mannes vor fünf Jahren alleine lebt, hat Pia ihr eigenes Zimmer. Es liegt im ersten Stock und ist das ehemalige Kinderzimmer ihres Onkels Antoine, das die Großeltern für Pia neu eingerichtet haben, damit sie ein Zuhause hat, wenn sie in den Ferien zu Besuch kommt.
»Warum kann ich nicht Mamans Zimmer haben?«, hat Pia bei ihrem ersten Besuch nach dem Tod der Mutter gefragt. Dort hat sie mit der Mutter bei ihren Besuchen in Paris immer gewohnt. Aber das Zimmer ihrer Mutter blieb ihr verschlossen. Die Großmutter hat am Tag ihrer Beerdigung den Schlüssel umgedreht und das Zimmer niemals wieder betreten. Genau wie auch sonst niemand.
Pia hat anfangs öfter vor der Tür gesessen und gewartet, dass sich die Tür öffnet und ihre Mutter herauskommt. Vergeblich.
»Soll die Tür denn für immer zubleiben?«, hat sie die Großmutter gefragt. »Bitte, lass uns zusammen hineingehen.«
Aber die Großmutter, die ihr sonst jeden Wunsch erfüllte, hatte nur mit dem Kopf geschüttelt. »Hinter der Tür wohnt der Tod, und dort soll er auch bleiben.«
Pia nimmt es in die Ht ihr Weg, mit dem Tod deiner Mutter umzugehen.«
»Aber sie sperrt die Erinnerungen an Maman ein. Es ist nicht der Tod, der dort wohnt, es sind die Erinnerungen. Wird sie die Tür jemals öffnen, Grand-père?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall erst, wenn die Zeit dafür gekommen ist.«
Aber die Zeit kam nie. Jedes Mal, wenn Pia in Paris war, hoffte sie vergeblich. Würde sie diesmal die Tür öffnen und die Erinnerungen an die Mutter herauslassen? Doch Pia traute sich nicht einmal, danach zu fragen. Und die Großmutter tat so, als würde es das verschlossene Zimmer im zweiten Stock nicht geben, ja, sie vermied es überhaupt, die Treppe in den zweiten Stock hinaufzusteigen.
Pia gießt sich ein Glas Wasser ein und setzt sich ins Wohnzimmer. Lustlos zappt sie durchs Fernsehprogramm. Sie nimmt die Tageszeitung vom Vortag und fängt an zu lesen, aber am Ende eines Absatzes hat sie vergessen, worum es geht. Ihre Gedanken sind bei dem verschlossenen Zimmer im zweiten Stock. Neben einem leeren Rotweinglas liegt ein Fotoalbum, auf dem die Großmutter ihre Lesebrille abgelegt hat.
das Album seit