Heute morgen und fuer immer - Roman
versprochen, mich höchstpersönlich zu diesem schweren Gang zu begleiten und für mich da zu sein. Satz mit x, war wohl nix. Auf dem Weg ins Krankenhaus bekam ich eine SMS von Helene, die heute arbeitete und auch dazukommen wollte. Sie ließ mich wissen, dass sie sich einige Minuten verspäten würde, aber alles gut werden würde. So stellte ich mir das vor, auf meine Schwester war eben Verlass. Aus diesem Grund war ich auch nicht Evas Rat gefolgt und ins Krankenhaus rechts der Isar gegangen, das einen guten Handchirurgen beschäftigte, sondern ließ mich bei Helenes Arbeitgeber untersuchen, weil es sich vertrauter anfühlte, sie zur Stelle war und große Stücke auf die Ärzte der Klinik hielt. Das einzig Gute an Jaspers Aktion war, dass mich die Wut auf ihn ablenkte, allerdings nur, bis ich am Krankenhaus angekommen war. Sofort wurde mir schlecht, und meine Knie zitterten. Seufzend ging ich zur Stationsanmeldung und wurde gebeten, kurz zu warten. Ich hasste Krankenhäuser! Ja, nicht sehr originell, wer mag sie schon, außer vielleicht die Ärzte und Krankenschwestern und Filmemacher, die sich Anregungen für Ärzteserien holen. Ich hasste Krankenhäuser aus einem zusätzlichen Grund. Damals, als der Unfall meiner Eltern geschah, war mein Vater sofort verstorben, aber meine Mutter schwer verletzt in eine Spezialklinik eingeliefert worden. Ich kann mich noch zu gut an die Fahrt dorthin erinnern, außerhalb Münchens, wo sie hingeflogen worden war. Omi hatte Helene und mich ins Auto gepackt und war wie eine Verrückte losgerast. Wir wussten in diesem Moment schon, dass unser Papa tot war und es schlecht für Mama aussah. Es war die längste Autofahrt meines Lebens, und ich kann mich nur noch an das abwechselnde Schluchzen im Auto erinnern und Omi, die versuchte, stark zu bleiben, obwohl ihr Sohn bereits tot war. Omi, die sonst nichts mit der Kirche am Hut hatte, betete mehrmals das »Vater Unser« und sprach uns dazwischen Mut zu.
Auf der Notfallstation herrschte dann das reinste Chaos. Es waren so viele Verletzte gleichzeitig aufgenommen worden, dass deren Angehörigen die Gänge füllten und jeden Arzt oder jede Schwester, die vorbeikam, belagerten. Einige Menschen waren wohl selbst im Bus gewesen und nur leicht verletzt und bangten jetzt um ihre Liebsten, die auch im Bus gesessen hatten. Omi kämpfte sich energisch vor, bis sie einen Arzt fand, der mit uns sprach. Er ging schnell die Unterlagen durch, bemerkte uns Kinder und wurde sich wohl plötzlich der Tragweite dessen bewusst, dass vor ihm zumindest schon mal zwei Halbwaisen standen, deren Mutter gerade um ihr Leben kämpfte. Er rang kurz um Fassung, strich uns über die Köpfe und nahm Omi beiseite. Wir konnten trotzdem hören, was er sagte.
»Frau Herbst, mein Beileid wegen Ihres Sohnes. Wir tun für Ihre Schwiegertochter, was möglich ist, aber es sieht sehr ernst aus. Wollen Sie mit den Mädchen hier warten oder lieber in den Krankenhauspark gehen?«
Omi entschied zu bleiben, und so saßen wir auf dem Gang und schreckten jedes Mal auf, wenn eine Schwester oder ein Arzt aus dem OP eilte, bis wieder der freundliche Arzt von vorhin auf uns zukam. Wir konnten ihm die Nachricht bereits im Gesicht ablesen, bevor er irgendwas gesagt hatte. Omi fing an zu zittern, Helene nahm meine Hand, und ich begann leise zu weinen und nahm überhaupt nicht mehr wahr, was er sagte. Ab diesem Moment war alles, was mit Hospitälern zu tun hatte, mit Angst und Tod für mich behaftet, und ich musste mich wirklich jedes Mal überwinden, ein Krankenhaus zu betreten. Bei Helene hingegen hatte dieses Ereignis das Gegenteil bewirkt, in ihr war der Wunsch entstanden, all den Menschen helfen zu können und für sie da zu sein, und sie war, soweit ich es beurteilen konnte, auch eine hervorragende Krankenschwester.
»So, Frau Herbst, kommen Sie bitte mit? Wir röntgen jetzt Ihre Hand, und dann wird Chefarzt Weber den Befund mit Ihnen besprechen.«
Schicksalsergeben trottete ich hinter der Schwester her, die ich nicht kannte. Sie war bestimmt neu. Höflich, aber unter Zeitdruck bat sie: »Wenn Sie die Hand bitte hier ablegen? Ich mache dann die Aufnahmen!«
Brav hielt ich mich an die Anweisungen, war gleichzeitig innerlich angespannt, weil ich die Diagnose fürchtete. Wo blieb bloß Helene?
Gerade rechtzeitig, als ich wieder gebeten wurde, auf dem Gang zu warten, kam sie angehetzt. »Entschuldige, ich konnte nicht früher. Geht's dir gut?« Besorgt sah sie mich an.
Ich lächelte.
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