Heute morgen und fuer immer - Roman
mit Professor Wiese noch nie zuvor so lange gesprochen hatte.
»Gut, Ihre Beweggründe habe ich verstanden, was nicht heißen soll, dass ich sie auf irgendeine Weise gutheiße oder entschuldige! Wie spielt Amelie Fischer da mit rein?«, fragte sie, und langsam bekam ich das Gefühl, dass die anfängliche Feindseligkeit wich und sie mir mehr Sympathie entgegenbrachte.
Tief holte ich Luft - was ich der Professorin über ihre Lieblingsschülerin sagen musste, würde sie nicht freuen, kannte sie Amelie doch nur als demütige Musterschülerin, die sich nie etwas zu Schulden kommen lassen würde.
»Amelies Verlobter ist ein enger Freund des Arztes, der mich operiert hat. Durch einen Hinweis war sie alarmiert und begann zu recherchieren, bis sie von meiner Operation erfuhr. Als ich im Krankenzimmer aufwachte, saß sie an meinem Bett und verkündete, dass sie das Konservatorium über alles benachrichtigt habe, das sei ihre Pflicht, und ich mir die Stelle abschminken könne.«
Professor Wiese gefiel nicht, was sie hörte, das konnte ich deutlich an der Zornesfalte sehen, die sich auf ihrer Stirn gebildet hatte. Sie merkte auch, dass ich die Wahrheit sagte, und war sichtlich überrascht, von Amelies Verhalten zu hören.
»Uns sagte Amelie, sie habe zufällig von Ihrer Operation über eine gemeinsame Freundin gehört und habe Sie nur besucht, um nach Ihnen zu sehen!«
Zu gut wusste ich, wen Amelie mit einer gemeinsamen Freundin meinte. Maria, ihre Freundin, die Evi und mich bei den Konzertproben belauscht und von meinen Schmerzen in der Hand sofort Amelie berichtet hatte. »Was mir noch sehr wichtig ist: Natürlich kommt mir die Stelle, was mein privates Leben angeht, sehr gelegen, aber einer der ausschlaggebenden Punkte ist, dass ich diesem Konservatorium so viel zu verdanken habe, dass ich den Schülern gerne einen Teil von dem, was ich erfahren durfte, zurückgeben möchte.«
Professor Wiese wischte meinen Kommentar ungeduldig ab. »Ja, ja, das sagen sie alle. Wir brauchen aber nicht nur jemanden, der gut unterrichten kann, sondern jemanden, der auch eine moralische Vorbildfunktion übernehmen kann, und das haben Sie mit Ihrer Aktion in Frage gestellt, auch wenn Ihre Gründe nicht rein egoistischer Natur waren, denn seien wir ehrlich, natürlich haben auch die mit reingespielt in Ihre Entscheidung, uns nicht die Wahrheit zu sagen.«
Ein harter Brocken, aber nichts anderes war zu erwarten gewesen. Kämpfen wollte ich, mich in die Höhle des Löwen wagen und mich erklären. Mehr konnte ich nicht mehr machen, mein Schicksal lag in ihrer Hand. Langsam stand ich auf. Professor Wiese begleitete mich zur Garderobe.
»Ich bitte Sie einfach, mir eine Chance zu geben, damit ich es wiedergutmachen kann. Denken Sie sich eine Strafe aus, brummen Sie mir auf, was immer Sie wollen, aber bitte geben Sie mir diese Chance«, schluckte ich mein letztes Quäntchen Stolz herunter.
»Wir alle sind für unsere Handlungen verantwortlich und müssen mit den Konsequenzen leben, Clara«, gab mir Professor Wiese mit auf den Weg.
Das war ja mal wirklich in die Hose gegangen, aber was hatte ich auch erwartet? Dass sie plötzlich zu meiner Befürworterin wurde, Gnade vor Recht ergehen und Amelie fallen ließ? Wenigstens konnte ich mir nicht vorwerfen, nicht alles versucht zu haben.
Kapitel 16
Ahnenforschung
»Omi liegt in der Inneren, Zimmer 204. Beeil dich!« Gedanklich stand ich am Schalter der Air Emirates, um ein One-Way-Ticket zu lösen, weil mein Leben komplett aus dem Ruder lief. Rein objektiv gesehen, fand ich mein Leben im Moment nicht wirklich beneidenswert und war der festen Ansicht, dass endlich das viel beschriebene Licht am Ende des Tunnels vor der Tür stehen musste. Ha, ich hatte nicht mit dem Schicksal gerechnet, das viel einfallsreicher war, als man vermutete. Omi hatte einen Infarkt gehabt, lag im Krankenhaus, und ich war auf dem Weg im Taxi dahin. Fahren konnte ich mit meinem Arm noch nicht, und das zwei Tage vor Weihnachten! Anscheinend war der Gutachter der Versicherung da gewesen und hatte zwar den Wasserschaden anstandslos angenommen, bei seiner Inspektion allerdings entdeckt, dass in einem Zimmer Schimmel entstanden war, der ausgetrocknet werden musste, was wieder Kosten verursachte und einen Ausfall des Zimmers bedeuten würde. Es war nicht die Welt, aber für Omi einfach zu viel gewesen. Laut Helene war es kein schlimmer Infarkt, aber in ihrem Alter musste man alles ernst nehmen und mit allem rechnen.
»Können
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