Heute morgen und fuer immer - Roman
erzähl endlich!«, drängte ich Helene voller Neugier.
»Nicht hier, komm mit!«
Sie zog mich in einen Raum, in dem sterilisierte Betten standen und für den man einen Schlüssel brauchte. Wir ließen uns vorsichtig auf eins der Betten nieder, die Folie quietschte beim Hinsetzen. Helene holte tief Luft und erzählte erst zögernd, dann immer schneller, das Geheimnis hatte sich auch über die Jahre bei ihr angestaut.
»Am ersten Tag, als ich im Krankenhaus anfing, hab ich mich in Chefarzt Weber verliebt. Sofort aus dem Stand! Das war das, was man Liebe auf den ersten Blick nennt. Mir gefielen seine ruhige Art, sein freundliches Wesen, dass er sich wirklich um die Patienten sorgte, Schwestern mit Respekt behandelte und trotz der vielen Arbeit immer ein offenes Ohr für alles hatte. Natürlich war mir klar, dass ich keine Chance bei ihm hatte, und außerdem wollte ich auch bestimmt nicht seine Familie zerstören. Seine Frau ist sehr liebenswert, Grundschullehrerin, backt öfter Kuchen für die gesamte Belegschaft, die beiden Töchter sind auch ganz reizend, kurzum keine zerrüttete Familie, in die man eindringt. Irgendwann habe ich gemerkt, dass meine Sympathie erwidert wurde. Wir arbeiteten einfach sehr viele gemeinsame Schichten, die vielen Stunden im Krankenhaus und Schicksale schweißen einen zusammen, da bleibt es nicht aus, dass man sich auch Persönliches erzählt. Er gehört nicht zu den Ärzten, die über ihre Frauen schlecht reden oder ihr Selbstwertgefühl durch das Von-einer-Krankenschwester-angehimmelt-Werden aufpolieren. Nein, er hat einfach von sich erzählt, welche Musik er gerne hört, welches Buch ihn zuletzt gefesselt hat, solche Sachen eben.«
Das konnte ich nachvollziehen. Umfragen besagten, dass achtzig Prozent aller Paare sich am Arbeitsplatz kennenlernten, und auch einige meiner Verflossenen waren aus dem beruflichen Umfeld gewesen. In einem Club oder während eines Dates zwei, drei Stunden so zu tun, als ob man echt entspannt, witzig und geistvoll war, schaffte jeder, bei der Arbeit hingegen konnte man sich irgendwann nicht mehr verstellen. Da musste man jeden Tag hin, ob mit Menstruationsbeschwerden, einem Bad-Hair-Day oder dem Riesenpickel, der es sich unter den beginnenden Falten bequem machte. Man teilte den Alltag, hatte immer Gesprächsthemen und Verständnis für den Job des anderen. Und man wusste, wovon, und vor allem von wem der andere sprach, wenn er sich über Kollegen Luft machen musste. Auch wie jemand unter Druck reagierte oder sich bei Betriebsfeiern unter Alkoholeinfluss verhielt, half einem, einen Menschen deutlich besser kennenzulernen, als wenn er auf seinem Datingportal im Internet »belastbar und charakterlich einwandfrei« stehen hatte.
»Aber wie und wann kam es denn dann zum, ähem, Zwischenfall?«, ging ich den Tatsachen weiter auf den Grund.
»Das ist so peinlich! Nur damit du es weißt, ich bin nur einmal schwach geworden, ein einziges Mal! Ausgerechnet bei der Weihnachtsfeier!«
Unwillkürlich musste ich lachen, weil ich automatisch an Franz Beckenbauer und die legendäre Weihnachtsfeier denken musste. Es war aber auch ein schlimmes Klischee, aber wie so oft steckte in jedem Klischee ein Stück Wahrheit. Helene wurde sauer und haute auf den knisternden Plastikbezug.
»Siehst du, genau deshalb wollte ich es nie sagen. Was für ein schlechtes Klischee. Schwester verliebt sich in verheirateten Chefarzt und lässt sich ausgerechnet bei der Weihnachtsfeier von ihm schwängern?! Erstens wäre es meinen Gefühlen nicht gerecht geworden, denn ich liebe diesen Mann wirklich und aus tiefstem Herzen, zweitens, überlege dir doch mal den Skandal. Unmöglich wäre ich im Krankenhaus geblieben, aber ich brauchte ja den Job, und schwanger eine neue Stelle suchen und wieder die Probezeit durchmachen müssen, das wollte ich nicht. Außerdem fühlte ich mich schuldig, weil ich nicht verhütet hatte und auf keinen Fall im Glenn-Close-Stil eine heile Familie zerstören wollte!«
Arme Helene, das war die Erklärung, weshalb sie seit Jahren keine feste Beziehung einging. Wir hatten immer geglaubt, sie wolle sich Maxi zuliebe nicht binden, tatsächlich aber liebte sie einen Mann, den sie jeden Tag, jahrein, jahraus, sah und der der Vater ihres Kindes war, ohne es zu wissen. Aber konnte man so was wirklich nicht wissen?
»Hat er denn nie Verdacht geschöpft? Immerhin sollte ihm als Arzt die Biologie der Frau hinlänglich bekannt sein. Wollte er denn nie mit dir zusammen sein und
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