Heute morgen und fuer immer - Roman
seine Familie verlassen?« Unfassbar, da spielte sich seit Jahren ein Drama vor meiner Nase ab und ich hatte nichts bemerkt. Helene hielt inne und dachte kurz nach.
»Wir haben nie wirklich über diese Nacht gesprochen. Wir sind im selben Taxi nach Hause gefahren, und er stieg bei mir mit aus. Da ergab sich eins nach dem anderen, und am nächsten Tag war mir alles so peinlich, dass ich gar nicht drüber sprechen wollte. Er suchte ein-, zweimal das Gespräch mit mir und entschuldigte sich, dass er eine Grenze überschritten hatte und meine Gefühle nicht ausnutzen wollte, aber mich plagte so das schlechte Gewissen, dass ich es einfach nicht hören wollte. Als ich dann sichtbar schwanger war und der errechnete Geburtstermin von Maxi öffentlich, nahm er mich erneut zur Seite und wollte wissen, ob ich von ihm schwanger sei. Ich hab's vehement verneint. Hatte mir sogar schon eine Erklärung ausgedacht, die total bescheuert war, aber plausibel.«
»Da bin ich aber mal gespannt ...«
»Ich hab ihm einfach gesagt, dass ich durch ihn gemerkt hätte, wie sehr ich mir ein Kind wünsche, und dass ich kurz nach unserer Nacht die Pille abgesetzt hätte, um mich gezielt von einem Exfreund schwängern zu lassen.«
Ach was!
»Und das hat er dir abgekauft?«
Helene nickte.
»Ja, ich war sehr überzeugend. Habe noch behauptet, ich fände es eh besser, für ein Kind allein zu sorgen, da würde man sich nicht um Erziehungsfragen streiten müssen, als er nachfragte, ob ich denn das ganz alleine wuppen wolle! Dabei hätte ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als Maxi mit ihm gemeinsam großzuziehen. Sogar bei der Namenswahl hat er mitgeholfen und Max vorgeschlagen, weil das so stark und verwurzelt klingt. Wenn er wüsste, wie oft ich geheult habe, weil ich nicht mehr konnte oder mir die Tränen in die Augen stiegen, wenn er mit Max in der Klinik spielte oder ihm das menschliche Skelett erklärte.«
Helene war ganz ergriffen, die Staudämme gebrochen. Sie heulte und schluchzte, war aber gleichzeitig erleichtert, endlich darüber sprechen zu können. Meine arme, große, tapfere Schwester! Wie viel Kraft es sie gekostet haben musste, all die Jahre, das konnte ich nur erahnen. Tröstend nahm ich sie in den Arm und drückte sie fest.
»Jetzt ist es raus, aber sag mal, sieht der denn die Ähnlichkeit zu Maxi gar nicht? Gut, er ist dunkler und Maxi ein hellerer Typ, aber ansonsten ... Wie heißt er eigentlich mit Vornamen?«
»Theodor«, hauchte Helene ehrfürchtig.
Ob ihn seine Freunde Theo nannten?
»Lene!«, sagte ich, nahm ihre Hand und sah ihr fest in die Augen. »Ich bin froh, dass du es endlich gesagt hast! Ich verstehe dich und kann nur erahnen, wie schwer die Situation für dich all die Jahre war, aber wir wissen beide, dass du die Pflicht hast, es Max und Omi auch zu sagen. Wir wissen nicht, wie lange wir Omi noch haben, und ich kenn dich zu gut, um zu wissen, dass du dein Schweigen irgendwann bereuen wirst! Maxi hat ein Recht auf seine Identität. Außerdem ist er alt genug, um bestimmte Sachen zu erfahren, jetzt, wo er auch schon mal verliebt war.«
Helene nickte, gleichzeitig sah sie verängstigt aus.
»Meinst du, sie werden das verstehen oder mich verurteilen?«
Lachend zeigte ich ihr 'nen Vogel.
»Wie, da hältst du das jahrelang geheim, obwohl es alle wissen wollen und es voll daneben finden, dass du es nicht sagst, und dann fragst du dich im Ernst, ob sie dich dafür verurteilen werden, wenn du endlich mit der Wahrheit rausrückst?«
Das sah selbst Helene ein. Wir warteten einige Minuten, bis keine von uns mehr verwischte, glänzende Augen hatte, und gingen dann zurück.
Kapitel 17
»O du Fröhliche ...«
Im Wohnzimmer prasselte das Feuer im Kamin, untermalt vom Weihnachtsoratorium. Im Backofen bräunte sich die letzte Fuhre Weihnachtsgebäck, die verführerisch duftete. Maxi und Helene schmückten den Christbaum, und Omi lag vergnügt auf dem Sofa in eine Decke eingewickelt und mit einem Glas Sherry in der Hand. Ja, den durfte sie tatsächlich trinken in ihrer Rehaphase, angeblich war Alkohol in Maßen gut fürs Herz. Omi war einen Abend vor Heiligabend aus dem Krankenhaus entlassen worden mit der strikten Aufforderung, sich zu schonen und sich nach Weihnachten im Allgäu zur Kur einzufinden. Omi hatte sich erstaunlich schnell mit dem Gedanken angefreundet und genoss es, auch mal frei zu haben und nicht verantwortlich zu sein, was mir ein schlechtes Gewissen bereitete. Omi hätte eigentlich seit einigen
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