Heute schon geträumt
wie ich, als sie zum Vorstellungsgespräch erschien - atemlos, weil sie von der U-Bahn hierhergelaufen war, das Haar völlig zerzaust und mit einer Laufmasche im Strumpf. Aber in Wahrheit verbirgt sich hinter der Blondchenfassade das Hirn eines kleinen Genies. Diese Frau hat einen Abschluss mit Auszeichnung in angewandter Mathematik und Physik von der Cambridge University und löst in ihrer Freizeit »zum Spaß« geometrische Gleichungen.
Ehrlich gesagt ist sie für diesen Job hier völlig überqualifiziert. Wir sind im selben Alter, und sie sollte in irgendeinem Labor arbeiten und irgendwelche wahnsinnig schlauen Forschungen machen. Stattdessen will sie unbedingt in der PR arbeiten und war völlig aus dem Häuschen, als ich ihr den Job angeboten habe. Außerdem hat sie die tollste Stimme aller Zeiten, und das ist ein echter Pluspunkt in der PR.
Traditionell stammen Mädchen, die in der PR arbeiten, aus Mittelklassefamilien aus dem Londoner Umland und nicht aus Yorkshire mit dem unüberhörbaren Akzent. Zum Glück verrät mein Akzent dank zehn Jahren London meine Herkunft nicht mehr allzu sehr. Nichtsdestotrotz öffnet uns Beas tadellose glasklare Sprache Türen, die mir ohne sie wohl verschlossen blieben. Wir beide sind ein Team. Köder und Angel, sozusagen. Ich ziehe die Deals an Land, bringe die Verträge unter Dach und Fach und kümmere mich um die Kunden, während Bea die erste Anlaufstelle für Presse und die Medien ist. Und für diesen Zweck ist ihre Art, wie die Queen zu klingen, unbezahlbar.
In diesem Moment läutet das Telefon, und Bea hebt ab. »Guten Morgen, Merryweather PR«, zwitschert sie in den Hörer. »Von welcher Publikation rufen Sie an? Vom Telegraph? Wie entzückend! Mein Großvater war jahrelang der Herausgeber!«
Klar, was ich meine?
Nachdem wir dafür gesorgt haben, dass uns die Melody-Geschichte nicht unterm Hintern hochgeht, vergeht der restliche Vormittag mit der gewohnten Hektik: Telefonate mit Journalisten, Pressemeldungen verfassen, Konferenzgespräche mit Kunden. Gerade noch ist es neun Uhr, und ich versuche mir etwas spannend und sexy Klingendes über Schuppenshampoos aus dem Kreuz zu leiern (das Shampoo ist Teil einer neuen Serie von Johnny Bird, dem Hairstylisten aus dem West End), und im nächsten Augenblick ist es kurz vor eins, und ich sitze auf dem Rücksitz eines Taxis auf dem Weg zum Wolseley, einem schicken Restaurant in Piccadilly. Normalerweise fahre ich selbst, aber heute dachte ich, es sei schneller, mir ein Taxi zu nehmen, außerdem kann ich unterwegs noch ein wenig arbeiten.
Ich klammere mich an den Haltegurt und lese eine Mail, die gerade auf meinem BlackBerry eingegangen ist. Gerade als ich eine Antwort tippen will, läutet mein Handy (ich besitze beides. Das BlackBerry ist fürs Geschäftliche, das Handy für Privates. Normalerweise schalte ich mein Handy tagsüber auf lautlos, aber heute muss ich es vergessen haben). Ich krame es heraus und werfe einen Blick aufs Display. Meine Eltern.
Oh, Scheiße. Dads Geburtstag. Ich wollte doch anrufen, sowie ich eine freie Minute habe.
Das Problem ist nur, dass ich immer noch auf diese Minute warte.
»Hallo, hier Charlotte Merryweather«, melde ich mich aus Gewohnheit, ehe ich mir auf die Zunge beiße.
»Oh, du lebst also doch noch!« Trockenes Lachen am anderen Ende der Leitung.
»Oh, hi, Mum«, sage ich unschuldig und verdränge den Gedanken an all die Nachrichten, die sie in den letzten Wochen hinterlassen hat. »Wie geht es dir?«
»Hast du meine Nachrichten nicht bekommen?« Ein deutliches Signal, dass sie sich nicht von irgendwelchen Freundlichkeiten einwickeln lassen wird.
»Äh … doch, aber ich -«
»Tja, hoffen wir, dass es bei deinem Vater und mir nie zu einem Notfall kommt«, unterbricht sie mich. »Wir wären längst tot und begraben, bevor man dich an die Strippe bekommt.«
Ich verdrehe die Augen. Meine Mutter hat eine Schwäche fürs Drama. Das liegt an all den Seifenopern, die sie sich ständig ansieht.
»Ich meine, welchen Sinn hat ein Handy, wenn man nie rangeht?«
»Wahrscheinlich war ich in Besprechungen«, halte ich schwach dagegen.
»Ich habe dich heute Morgen zu Hause angerufen.Trotzdem bist du nicht rangegangen.« Ehrlich - man könnte meinen, meine Mutter sei Staatsanwältin, nicht Schulsekretärin.
»Da muss ich unterwegs gewesen sein. Mein Trainer hat mich um sechs abgeholt.«
»Um sechs Uhr morgens?« Sie klingt schockiert.
»Ja, ich bin fünf Meilen gelaufen.«
»Fünf
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