Heute schon geträumt
zu besinnen, mich zu erinnern, wie ich mich damals gefühlt habe … Jung, glücklich, unbesiegbar. Gott, wie ein vollkommen anderer Mensch.
»Es war unglaublich«, schwärmt sie seufzend, während ihre Augen zu leuchten beginnen.
»Ich weiß«, murmle ich.
»Ah ja?« Sie sieht mich mit gerunzelter Stirn an.
»Äh, ja, ich weiß, wie man sich in so einem Moment fühlt«, erkläre ich hastig. »Ich kenne das Gefühl, so eine Nacht mit jemandem zu erleben«, füge ich hinzu.
Sie mustert mich argwöhnisch - als könnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie ich eine rauschende Liebesnacht mit irgendeinem Mann erlebe, von einem Rocksänger in Lederkluft ganz zu schweigen.
»Jedenfalls hat er am nächsten Morgen, als ich gegangen bin, versprochen, mich anzurufen, weil er an diesem Abend noch zu einem Auftritt nach Leeds musste. Deshalb konnte er auch nicht zu meiner Geburtstagsparty kommen.« Sie verzieht das Gesicht und nimmt einen Zug an ihrer Zigarette. »Aber das war gelogen. Er hatte gar keinen Auftritt, sondern war mit diesem Mädchen zusammen.« Wieder steigen ihr die Tränen in die Augen, quellen zwischen ihren Wimpern hervor und kullern ihr über die Wangen. »Wie konnte er so etwas nur tun?«
Weil er ein rücksichtsloser, egoistischer Schwachkopf ist. Deshalb!, würde ich am liebsten laut schreien, aber natürlich würde sie das nicht hören wollen. Ich weiß es, denn als Vanessa genau dasselbe gesagt hat, kam es zu einem wüsten Streit zwischen ihr und mir, bei dem ich ihn am Ende verteidigte und wutschnaubend abrauschte. Aber wenn ich ihr das nicht sagen kann, was soll ich ihr dann sagen? Die Wahrheit?
Ich zögere, überlege, wie viel ich preisgeben kann, als das Telefon im Haus läutet. »Lottie, deine Eltern sind dran«, ruft eine Stimme, ehe eine fremde Gestalt mit einem Telefon mit extralanger Schnur in der Hand im Türrahmen erscheint.
»Oh, danke.« Sie nimmt den Hörer und sieht mich an. »Entschuldige, es dauert nicht lange.«
Das wird interessant werden.
»Mum! Hallo, wie geht es dir?«, ruft sie, während sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitet.
Verblüfft sehe ich sie an. Ich wusste ja nicht, was ich erwartet hatte, aber das ganz bestimmt nicht. Sie scheint sich aufrichtig zu freuen, die Stimme ihrer Mutter zu hören.
»Billy? Nein, er hat nicht angerufen.«
Entsetzt horche ich auf.Wie bitte? Ich habe meiner Mum von Billy Romani erzählt? Ich fasse es nicht. Heutzutage vertraue ich mich meiner Mutter nie an, und schon gar nicht in Angelegenheiten, die mein Liebesleben betreffen.
»Nein, es geht mir gut«, beteuert Lottie und wirft mir erneut einen Blick zu. »Eine Freundin ist hier bei mir.«
Ich zwinge mich, meinen Blick von ihr zu lösen, und ringe mir ein Lächeln ab.
»Tja, dann grüß Dad ganz lieb von mir, ja? Und vergiss nicht, dass ich nächstes Wochenende nach Hause komme, dann sehen wir uns endlich wieder … Ja, ich freue mich auch schon sehr. Dann gehen wir zusammen einkaufen, und ich löse die Gutscheine ein, die du mir geschenkt hast.« Sie lacht, und ich bin sicher, Mum am anderen Ende der Leitung ebenfalls lachen zu hören. »Also, bis dann, Mum! Ich rufe dich morgen an. Ich hab dich auch lieb!« Sie legt auf und wendet sich mir, noch immer lächelnd, zu.
Ein Funken Reue glimmt in mir auf. Solche Gespräche führe ich mit meiner Mutter heute nicht mehr. Stattdessen sind unsere Unterhaltungen knapp, unpersönlich und alles andere als intim.Wie unsere Beziehung, wird mir schlagartig bewusst, während ich überlege, wann wir das letzte Mal zusammen einkaufen waren.
»Telefonierst du jeden Tag mit deinen Eltern?«, frage ich neugierig.
»Oh, ja. Wir stehen uns sehr nahe.« Sie nickt, ohne eine Sekunde zu zögern. »Ich habe riesiges Glück. Manche Leute verstehen sich ja überhaupt nicht mit ihren Eltern und besuchen sie nie, aber meine sind toll. Sie freuen sich so für mich, weil ich diesen Job in London bekommen habe, und unterstützen mich, aber ich weiß, dass sie mich vermissen. Und ich vermisse sie auch.«
»Das ist wunderbar.« Ich lächle, trotzdem kann ich meine Traurigkeit darüber, dass meine Eltern und ich uns so auseinandergelebt haben, nicht leugnen. Ich rufe sie so gut wie nie an, und es ist eine halbe Ewigkeit her, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe.Voller Schuldgefühle denke ich daran, wie sehr ich sie vernachlässigt habe. Mums Anruf von vorhin kommt mir wieder in den Sinn. Wie sie mich nach Miles gefragt hat. Sie macht
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