Heute schon geträumt
Sache. Nachdem ich Lottie am Telefon mit Mum und Dad reden gehört habe, wurde mir plötzlich klar, dass es viel zu lange her ist, seit ich sie das letzte Mal gesehen und mit ihnen geplaudert habe. Deshalb habe ich beschlossen, spontan zu ihnen zu fahren und ein paar Tage mit ihnen zu verbringen.
»Oh, aber natürlich«, erklärt Beatrice, die auch darüber Bescheid weiß. »Pass auf dich auf.« Sie drückt mich noch einmal an sich, ehe sie sich errötend von mir löst. »Ich halte solange die Stellung. Und kümmere mich darum, dass keine Cocktails übrig bleiben.« Sie grinst verschmitzt. »Einer muss das doch übernehmen.« Sie wendet sich um und verschwindet um die Ecke.
Ich bleibe allein in der Lobby zurück, leicht benommen, so wie in der Ruhe nach einem heftigen Sturm, dann mache ich mich auf den Weg zur Garderobe, wo ich meine Jacke abgegeben habe. Es ist vorbei. Und heute ist der erste Tag meines neuen Lebens.
Ohne Oliver.
Wieder meldet sich dieses bohrende Gefühl in meinem Innern, doch diesmal ist es keine Besorgnis. Ich habe versucht, es zu verdrängen, doch es geht nicht.Wann immer ich am wenigsten damit rechne, sehe ich sein Gesicht vor mir. Während ich im Wagen sitze und durch die Stadt fahre, fällt mir etwas ein, was er gesagt hat, oder beim Überqueren der Straße kommt mir wieder dieser höchst erotische Augenblick auf dem Balkon in den Sinn, und diese tiefe Sehnsucht regt sich in mir.
Was für eine Ironie! Vor zehn Jahren habe ich ihn nicht bemerkt, und jetzt kann ich ihn nicht mehr vergessen.
Ich stehe vor der Garderobe und krame in meiner Tasche nach dem Abholzettel. Meine Güte, wie viel Krimskrams hier herumfliegt, fällt mir auf, noch immer mit den Gedanken bei Oliver. Wahrscheinlich werde ich ihn nie wiedersehen, werde mich nie bei ihm entschuldigen und ihm sagen können, dass ich Larry Goldstein die Zusammenarbeit aufgekündigt habe. Er wird es nie erfahren. Tja, schließlich ist das nicht unbedingt das, was man auf der Titelseite der Zeitung liest, oder?
Und selbst wenn er es erfährt, was nützt es dann? Schließlich ist es ja nicht so, dass ich damit den Laden seines Großvaters gerettet habe, oder? Larry Goldstein wird sich einfach eine neue PR-Agentur suchen und die Sache durchziehen. Leider wird meine Entscheidung für niemanden einen Unterschied machen - nicht für Larry Goldstein, nicht für Oliver und ganz bestimmt nicht für seinen Großvater.
Aber das stimmt nicht, sage ich mir, während ich der Garderobenfrau den Abholzettel reiche. Für mich macht es sehr wohl einen Unterschied.
»Entschuldigung, Miss?« Ich hebe den Kopf. »Aber das ist nicht Ihr Abholzettel«, sagt die Garderobenfrau.
»Nein? Oh, tut mir leid.« Wieder beginne ich zu kramen. Oh, hier ist er ja. Ich reiche ihn ihr mit einem entschuldigenden Lächeln, worauf sie mir den verkehrten Zettel zurückgibt. Wow, was für ein Chaos, denke ich und betrachte ihn.
Mein Blick fällt auf eine krakelige Handschrift. Eine Adresse.
Ollys Adresse.
Mir rutscht das Herz in die Hose. Ich muss Lottie den verkehrten Zettel gegeben haben. Schuld ist nur meine blöde Tasche - all der Mist, der darin herumfliegt. Aber heute Abend findet das Essen statt. Panik steigt in mir auf. Oh Gott, wenn sie die Adresse nicht bekommt, wird sie nicht wissen, wohin sie fahren muss. Sie wird nicht hingehen. Sie wird ihn versetzen.
Ich schnappe meine Handtasche und stürme davon.
»Miss, Ihre Jacke, Miss«, ruft mir die Garderobenfrau nach, aber ich laufe weiter.
Eine Viertelstunde später sitze ich im Wagen und schlängle mich durch den dichtenVerkehr, vorbei an Ampeln und Geschwindigkeitsmessern. Los, los, los … Wieder stecke ich in der Umleitung fest, und als ich vor der Ampel stehen bleibe, dresche ich frustriert mit den Händen aufs Lenkrad ein. Ich muss so schnell wie möglich dorthin, um ihr die Adresse zu geben. Ich darf nicht zulassen, dass sie ihn versetzt.
Aber was, wenn sie es längst getan hat?
Plötzlich muss ich wieder an den Augenblick gestern in meiner Wohnung denken, als ich Oliver erklärt habe, weshalb ich nicht mehr im Pub vorbeigesehen habe. »Ich dachte, du hättest mich schon wieder versetzt … War nur ein Scherz«, sagte er zu mir.
Aber das war kein Scherz, stimmt’s? Ich habe ihn tatsächlich versetzt. Ich habe es tatsächlich nicht rechtzeitig geschafft, ihr die Adresse zu geben, stimmt’s?
Das schrille Läuten meines Handys reißt mich aus meinen Grübeleien, und ich sehe aufs Display. Julian.
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