Heute schon geträumt
wenigstens irgendjemand von sich behaupten kann«, kontert sie und kramt einen Stapel Malbücher und ein paar Stifte für Ruby hervor, während sie Sam auf der Hüfte schaukelt.
»Soll ich dir helfen?«
»Nein, nein, es geht schon.« Sie lächelt und schiebt sich ein paar lose Strähnen in ihren Pferdeschwanz zurück. Zum ersten Mal fällt mir auf, dass ihr Haaransatz dringend nachgefärbt werden müsste, was bei Vanessa sonst eigentlich nie vorkommt. Selbst am Tag vor Sams Geburt war sie noch beim Friseur, aller Warnungen zum Trotz, während der Schwangerschaft aufs Färben zu verzichten. »Blödsinn«, sagte sie damals. »Gwen Stefani hab ich auch noch nie mit dunklem Haaransatz gesehen.« Was ich ziemlich beeindruckend fand, weil ich nicht gedacht hätte, dass Vanessa überhaupt weiß, wer Gwen Stefani ist.
»Noch einen Tee?«, frage ich.
»Eigentlich hätte ich lieber ein Glas Pinot Grigio und würde mich gern in den Garten setzen«, vertraut sie mir an. »Hast du auch Lust auf einen?«
Gerade als ich Ja sagen will, fällt mir der seltsame Vorfall an der Ampel wieder ein, und ich besinne mich eines Besseren. Vielleicht ist Alkohol ja nicht ganz das Richtige. Außerdem bin ich mit dem Auto unterwegs. »Lieber nicht.« Ich schüttle den Kopf. »Ich trinke in letzter Zeit ziemlich viel Wein. Vielleicht sollte ich lieber mal dieses Entgiftungsprogramm machen, das Melody immer empfiehlt.«
»Noch eines?« Vanessa sieht mich erstaunt an. »Aber du hast doch gerade eines hinter dich gebracht.«
»Das war vor einer halben Ewigkeit«, widerspreche ich hitzig.
»Letzten Monat. Das weiß ich deshalb noch genau, weil du zum Abendessen hier warst, dich dann aber geweigert hast, irgendetwas zu essen.«
»Oh, stimmt. Das war die Limonadendiät.«
»Und gibt es auch eine Coca-Cola-Diät?«, kontert sie trocken.
»Nicht diese Art Limonade«, gebe ich zurück, kann mir aber ein Lächeln nicht verkneifen. »Es ist eine spezielle Mischung aus Ahornsirup und frisch gepresstem Zitronensaft. Melody hat davon geschwärmt. Sie kommt in ihrem neuen Buch vor, deshalb bin ich auf die Idee gekommen, sie mal auszuprobieren. Außerdem geht es dabei um die Entschlackung.«
Vanessa verzieht das Gesicht. »Gibt es da einen Unterschied?« Sie wirft einen Blick auf das leere Weinregal und tritt vor den Kühlschrank.
»Sogar einen großen«, erkläre ich. »Ich habe doch diese Ernährungsexpertin befragt, als ich die Pressemeldung für Melody geschrieben habe, und sie hat mir erklärt, dass du bei einer Entgiftung sämtliche Faktoren aus deiner Ernährung verbannen musst, die schädlich für dich sind.Wie beispielsweise Wein, Kaffee und Zucker.«
Vanessa öffnet die Tür des riesigen Edelstahlkühlschranks.
»Und Entschlackung bedeutet, dass man gar nichts isst. Aber normalerweise nimmt man zumindest Säfte zu sich«, fahre ich fort. »Aber natürlich keinen Orangensaft, weil der voller Zucker steckt, aber man kann alle möglichen Gemüsesorten verwenden, wie Sellerie oder Brokkoli und Auberginen. Obwohl … nein, die sind ja violett.«
»Klingt lecker«, kontert sie sarkastisch und zieht den Korken aus einer fast leeren Weinflasche. »Obwohl ich, glaube ich, lieber bei Trauben bleibe. Die sind ja auch grün.« Ein paar letzte Tropfen sickern aus der Flasche in ihr Glas, und sie schnalzt missbilligend mit der Zunge. »Verdammt. Das war die letzte Flasche.«
»Ich kann gern eine besorgen, wenn du willst«, biete ich ihr an.
In diesem Moment geht die Tür auf, und wir hören Schritte auf dem Flur. George, der Cockerspaniel, der die ganze Zeit in seinem Körbchen geschlafen hat, wedelt mit dem Schwanz.
»Ich habe eine bessere Idee.Wieso ziehen wir nicht beide los?«
»Aber was ist mit -«
»Den Kindern«, wollte ich gerade sagen, als ich ein begeistertes »Daddy« höre und Julian die Küche betritt - groß, schlank, attraktiv, mit dichtem hellbraunem Haar. Er durchquert die Küche und schnappt sich die beiden Kleinen, die vor Begeisterung quieken. »Na hallo, ihr beiden Hübschen!«, ruft er, überhäuft sie mit Küssen, presst ihnen die Lippen auf den Nacken und pustet.
Ich beobachte sie liebevoll. Julian geht so toll mit ihnen um, denke ich. Doch in diesem Augenblick sehe ich zu Vanessa hinüber, auf deren Gesicht ein säuerlicher Ausdruck liegt, anstelle des seligen Lächelns beim Anblick ihrer glücklichen Familie.
»Du bist früh zu Hause.«
Julian hält inne und sieht Vanessa an. Es ist fast, als wäre ihm gar nicht
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