Heute schon geträumt
sich unsere Blicke begegnen.
»Oooh, der sieht ja süß aus«, säuselt sie jetzt. Und zwar laut.
»Nessy!«, zische ich. Eilig wende ich den Blick ab und gehe ein paar Schritte weiter, damit er mich nicht mehr sehen kann. Mein Herz hämmert. Gott, was ist denn nur in mich gefahren?
»Was denn?«, fragt sie unschuldig mit einem letzten Blick durchs Fenster, bevor sie mir widerstrebend folgt. »Also, raus damit, wer ist er?«
»Ach, niemand. Nur ein Barmann, der mir neulich den letzten Nerv geraubt hat.«
»Bist du sicher? Er kam mir irgendwie bekannt vor. Ich glaube, er ist mit einer der Mütter aus Rubys Kindergarten verheiratet.«
»Wirklich?« Plötzlich spüre ich so etwas wie Enttäuschung. Was absolut lächerlich ist. Als würde es mich kümmern.
»Äh, oder vielleicht auch nicht.« Sie zuckt die Achseln. »Ach, ich weiß nicht. Ich weiß überhaupt nichts mehr.«
Plötzlich sieht sie niedergeschlagen aus. Ich drücke ihren Arm. »Vanessa, ist alles in Ordnung mit dir?«
»Nein, ist es nicht.« Sie schüttelt den Kopf. »Ich glaube, Julian hat eine Affäre mit seiner Sekretärin.«
Zack.Aus heiterem Himmel. Einfach so. Ich starre sie an, in der Annahme, dass das einer ihrer üblichen boshaften Scherze ist, aber ihre Miene ist ernst. Darum geht es hier also.
»Nie im Leben«, erkläre ich sofort. »Das würde Julian niemals tun.«
»Er macht schon seit Monaten Überstunden. Und als ich eines Tages unangemeldet bei ihm im Büro aufgetaucht bin, habe ich sie zusammen gesehen.«
»Zusammen wobei?«
»Nichts, was vor Gericht als Belastungsbeweis vorgebracht werden könnte, aber …« Ihre Stimme verklingt, und sie zieht an ihrer Zigarette. »Ihre Körpersprache. Ich habe es einfach gesehen.«
»Das bildest du dir nur ein«, sage ich und schüttle entschlossen den Kopf. »Du bist erschöpft wegen der Kinder. Er arbeitet viel. Deine Fantasie spielt dir einen Streich.«
Sie sieht mich zweifelnd an. »Glaubst du?«
»Definitiv.« Wieder schüttle ich rigoros den Kopf.
Inzwischen stehen wir bei ihr vor dem Haus. Sie schwingt sich auf die Gartenmauer. Im Schutz von Julians Range Rover drückt sie ihre Zigarette aus und zündet sich gleich die nächste an. »Ich weiß nicht … ich bin sicher, dass ich etwas gesehen habe …«
»Du bildest es dir nur ein, garantiert«, beruhige ich sie und setze mich neben sie. »Gestern Morgen habe ich an der Ampel gestanden und gedacht, ich sehe mich selber in einem anderen Auto, falls dir das ein Trost sein sollte.«
»Das heißt, ich bin noch nicht völlig durchgedreht.« Sie schneidet eine Grimasse.
»Natürlich habe ich nicht ernsthaft gedacht, dass ich das bin«, füge ich eilig hinzu. »So verrückt bin ich auch wieder nicht, trotzdem war es ziemlich schräg. Sie sah genauso aus wie ich mit 21.«
»21.« Vanessa starrt wehmütig in die Ferne. »Hätte ich nur damals schon gewusst, was ich heute weiß.«
»Gewusst? Was denn zum Beispiel?«
»Dass Rauchen uncool ist und man folglich gar nicht erst damit anfangen sollte.« Sie grinst. »Denn nach zehn Jahren ist es entsetzlich schwer, damit aufzuhören.« Sie lässt den Rauch durch die Nasenlöcher entweichen. »Und dass man so oft ausschlafen sollte, wie man nur kann, weil man es sich abschminken kann, wenn man erst mal Kinder hat. Oh, und dass man Miniröcke tragen sollte.«
Sie sagt das mit einer Ernsthaftigkeit, dass ich sie erstaunt ansehe. Seit ich sie kenne, habe ich Vanessa in nichts anderem als schwarzen Hosen gesehen.
»Aber du hast doch noch nie welche getragen«, wende ich ein.
»Das ist es ja. Denn ich hätte es tun sollen. Ich dachte immer, meine Beine sind viel zu dick dafür, aber wenn ich mir heute alte Fotos ansehe, fällt mir auf, wie dünn ich war.«
»Dann zieh doch jetzt einen an.«
»Machst du Witze?« Trübselig mustert sie ihre Beine. »Jetzt bin ich zu alt und zu fett dafür.«
»Das ist doch lächerlich, du siehst toll aus.«
»Ich muss mindestens zehn Kilo abnehmen.« Sie drückt ihre Zigarette aus, reißt eine der Maltesers-Tüten auf und zerbeißt eine der Kugeln mit den Backenzähnen. »Morgen ist Wiegetag, und ich habe kein Gramm abgenommen.«
Sie sieht so unglücklich drein, dass ich es nicht über mich bringe, ihr zu sagen, sie solle besser die Finger von den Süßigkeiten lassen.
»Vielleicht sollte ich ja diese Limo-Diät machen, von der du vorhin erzählt hast.« Sie mustert ihren Bauch, als wäre er ein merkwürdiger Auswuchs, der nicht zu ihrem Körper gehört.
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