Heute schon geträumt
sich auf meinem Gesicht aus. »Was machst du denn hier?«
»Ich wohne hier, du taube Nuss«, erwidert sie fröhlich. »Und was treibt dich hierher?«
Vanessa ist meine älteste Freundin, die ich an dem Tag kennen gelernt habe, als ich zu meinem ersten Vorstellungsgespräch bei diesem Kreuzworträtselmagazin unterwegs war. Sie saß mit einer Zigarette in der Hand vor dem Bürogebäude und sah unglaublich cool aus. Zumindest für ein nervöses Mädchen wie mich, das gerade im Kostüm seiner Mutter aus dem Expresszug aus Yorkshire gestiegen war, verkörperte Vanessa alles, was ich mit London verband. Sie war einen Meter achtzig groß, platinblond, fünfundzwanzig und lebte in einer WG in Kensington. Ich war sprachlos vor Ehrfurcht.
Und das bin ich auch heute noch ein wenig. Mittlerweile ist sie glücklich mit Julian verheiratet, einem gut aussehenden Anwalt, hat zwei reizende Kinder und lebt in einem großen alten Haus in Notting Hill mit einem mit Fingerfarbenbildern vollgepflasterten Kühlschrank und tausenden Familienfotos an den Wänden. Unsere Leben könnten nicht verschiedener sein, und wir sehen uns bei weitem nicht so häufig, wie wir es gern tun würden, trotzdem stehen wir uns nach wie vor sehr nahe.
»Ich war bei einem Geschäftsessen«, sage ich mit einer Geste in Richtung Restaurant. »Ich wollte gerade ins Büro zurückfahren.«
»Scheiß drauf.« Sie hakt sich bei mir unter. »Tante Charlotte kommt jetzt mit zu uns, und dann trinken wir einen Tee, ja?« Sie späht in den Buggy, wo Ruby, ihre Dreijährige, und Sam, der gerade ein Jahr alt geworden ist, fröhlich kichern und brabbeln. »Siehst du, die beiden finden das auch. Das war ein Ja, falls ich das für dich übersetzen muss«, meint sie, worauf ich lachen muss.
»Okay.« Ich bin klug genug,Vanessa nicht zu widersprechen. »Aber nur eine Tasse.«
»Eine Tasse«, wiederholt sie unschuldig, packt mit einer Hand den Griff des Kinderwagens und die Hundeleine, hakt sich mit der anderen bei mir unter und bugsiert uns über die Straße.
»Gott, ich wünschte, mir würde mal einer die Hand unter den Rock schieben.«
Ich habe ihr gerade alles von meiner »schrägen« Begegnung mit Larry Goldstein erzählt, und ehrlich gesagt - das war nicht die Reaktion, die ich erwartet hätte.
»Vanessa!«, japse ich entsetzt.
»Tut mir leid, Süße, war nur ein Scherz«, entschuldigt sie sich lässig. »Okay, in gewisser Weise«, murmelt sie und gibt etwas in den Mixer, das sich vor meinen Augen in eine undefinierbare orangefarbene Masse verwandelt. »Aber nachdem ich Larry Goldstein bei Oprah gesehen habe, muss ich zugeben, dass er schon verdammt attraktiv ist.«
»Na und? Auf diese künstliche Art ist er das ganz bestimmt, aber das rechtfertigt noch lange nicht, dass er mich im Restaurant begrapscht. Es war ein Geschäftsessen.«
Vanessa, die gerade Sam gefüttert hat, hält mit dem Löffel voll orangefarbener Masse in der Hand inne. »Und?«, neckt sie, während sie sich geistesabwesend den Löffel selbst in den Mund schiebt. Empörtes Quieken. »Hoppla, Entschuldigung, Schätzchen«, beruhigt sie ihn. »Die dumme Mami hat eben auch Hunger.« Eilig füttert sie ihn weiter.
»Und das ist inakzeptabel!«, wettere ich. »Das ist sexuelle Belästigung. Schon mal was von Gleichberechtigung am Arbeitsplatz gehört?«
Sie legt die Stirn in Falten und tut so, als würde sie nachdenken. »Vage. Ich bin Hausfrau und Mutter. In meiner Welt dreht sich alles nur um Badezeiten, Wutanfälle und volle Windeln. Ich habe meinen Job und mein Leben zugunsten meiner Familie aufgegeben. Muss ich noch mehr dazu sagen?« Mit einem Löffel in jeder Hand lächelt sie sarkastisch, ehe sie fortfährt, abwechselnd orangefarbenen Brei und Spaghetti in kleine hungrige Münder zu stopfen.
»Ja, aber du bist doch gern Mutter«, wende ich ein.
»Das stimmt.« Sie wendet sich mir zu und strahlt. »Meine Kinder sind das Beste, was mir passieren konnte, und ich kann mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen …« Sie unterbricht sich verlegen, als sie mein Gesicht sieht, und das Lächeln verfliegt. Wir tauschen einen kurzen Blick. »Aber ich bin froh, dass ich gewartet habe, bis ich in den Dreißigern war, bevor ich sie bekommen habe«, fügt sie eilig hinzu, ehe sie den Blick abwendet.
Einen Moment lang herrscht Stille.
Ich beende sie, indem ich das Thema wechsle. »Außerdem hast du deinen Job gehasst«, erinnere ich sie.
Vanessa hat in einer Anwaltskanzlei neben meinem Büro
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