Heute und für immer: Roman (German Edition)
spüren.
»Wenn du mich weiter so anstarrst, werde ich überhaupt nichts auf dem Tisch treffen«, murmelte sie. »Dr. Rhodes errötet übrigens schon.«
Jordan trat zur Seite. Kasey konzentrierte sich kurz, beugte sich vor und stieß zu.
Beim Anstoß rollten gleich drei Kugeln in die Taschen. Kasey ging um den Tisch herum, brachte sich in die richtige Position und stieß wieder. Und wieder. Sie beugte sich weit über den Tisch, kniff die Augen zusammen, um den Stoßwinkel abzuschätzen, und versenkte elegant die nächste Kugel. Dann machte sie eine Pause, präparierte die Queuespitze mit Kreide, ließ dabei den Blick über den grünen Filz schweifen und musterte konzentriert die strategisch günstigste Vorgehensweise. Im Raum war es mucksmäuschenstill geworden.
Ehe sie an den Tisch zurücktrat, nahm sie rasch einen Schluck Wermut. Darauf folgte ein dumpfer Stoß, das Scheppern der aneinanderklirrenden Kugeln und ein geräuschvoller Atemzug von Harry, da sie mit einem Stoß
über drei Banden eine weitere Kugel versenkte. Auf seinen Queue gestützt verfolgte Jordan gespannt das Geschehen. Er genoss den Anblick, wie Kasey sich weit über den Tisch streckte und mit einem lässig ausgeführten Stoß noch eine Kugel einlochte. Schließlich räumte sie den Tisch ab, indem sie mit einem Stoß zwei Kugeln in gegenüberliegende Taschen beförderte. Dann richtete sie sich auf, rieb sich mit dem Handrücken die Nase und lächelte ihre Kontrahenten auffordernd an.
»So, das wären dann jeweils fünfzehn Dollar, meine Herren, richtig? Möchten Sie das nächste Spiel eröffnen, Harry?«
Jordan warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Harry, mein Freund«, sagte er und klopfte dem anderen auf die Schulter. »Ich glaube, wir sind gerade einem Profi auf den Leim gegangen.«
5
Jordan beobachtete Kasey, die schweigend in einen Stoß seiner Notizen vertieft war. Seit geschlagenen zwanzig Minuten hatte sie keinen Laut von sich gegeben. Es war erstaunlich, wie sie ihre Lebendigkeit je nach Bedarf an- oder abstellen konnte. Und sie besaß wie keine andere Frau, die ihm bisher begegnet war, die Gabe, seinen Verstand ständig auf Trab zu halten. Wenn er ihr eine direkte Frage stellte, die ihre Person betraf, erging sie sich in weitschweifigen Erklärungen, die jedoch meistens nicht auf seine eigentliche Frage eingingen. Sie gab nur sehr wenig von sich preis.
Welche kleinen Geheimnisse verbergen sich unter diesem Lockenkopf?, fragte sich Jordan zum wiederholten Mal. Was erzählt sie mir nicht , während sie scheinbar alles herausplapperte, was ihr gerade in den Sinn kommt? Und warum bin ich so versessen darauf, hinter ihre Geheimnisse zu kommen? Jordan legte die Stirn in Falten und dachte an all die Veränderungen, die sie bereits in sein Leben gebracht hatte.
Mittlerweile spürte man, dass ein Kind in diesem Haus lebte. Es war auf einmal mit Gelächter und Unruhe erfüllt. Wie lange hatte er die Dinge schleifen lassen?
Er hatte die Führung des Haushalts – und die Verantwortung für seine Nichte – beinahe ausschließlich seiner Mutter
überlassen. Das war ihm als das Einfachste erschienen. Einfach. Ja, sein Leben war sehr viel einfacher gewesen, bevor Kasey durch diese Tür getreten war. Er war zufrieden gewesen. Aber er hatte sich gelangweilt, wurde ihm plötzlich klar. Genau wie Alison. Harry hatte es Rastlosigkeit genannt, doch das war ein kleiner Unterschied. Niemand in diesem Haushalt hatte sich den Veränderungen, die ihre Ankunft mit sich brachte, entziehen können.
Jordan zündete sich einen Zigarillo an. Beatrice hatte bereits ein paar kleinliche Beschwerden geäußert. Doch er beachtete die Kommentare seiner Mutter schon lange nicht mehr. Seit er sich entsinnen konnte, hatte sich seine Mutter überwiegend mit ihren Komitees, ihren Designern und ihren Einladungen beschäftigt und ihn und seinen Bruder der Fürsorge zahlreicher Kindermädchen und Hauslehrer überlassen. Bislang hatte Jordan das als normal akzeptiert. Doch inzwischen begann er sich zu fragen, ob es richtig gewesen war, Alisons Erziehung in die Hände seiner Mutter zu legen. Es war einfacher gewesen, schoss es ihm wieder durch den Kopf. Aber das Einfache war nicht immer das Richtige. Offenbar musste er langsam gewisse Dinge einmal genauer betrachten. Sein Blick wanderte wieder zu Kasey.
»Du bist sehr scharfsinnig, Jordan«, bemerkte Kasey und schob ihre Brille zurück, die ihr bis auf die Nasenspitze gerutscht war.
»Findest du?«, entgegnete er.
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