Heute Und in Ewigkeit
sehen konnte, hatte er seine Frau nicht betrogen. Das war Quinns Methode.
»Nicht übel für einen alten Mann, was?«, fragte er.
»Wenn du hinterher Komplimente hören willst, solltest du dir vielleicht mehr Mühe geben.« Ich beugte mich über ihn und nahm mein Glas vom Nachttisch.
»Wenn du Orgasmen willst, solltest du vielleicht weniger trinken.«
Ich trank die paar restlichen Schlucke. »Das war bisher nie ein Problem. Vielleicht wirst du doch zu alt.«
»Oder du. Dreh dich mal zu mir und lass dich anschauen.« Er zog mich auf die Seite. Quinn besaß immer noch die Kraft eines Football-Spielers. Er strich mit dem Daumen über die Ringe unter meinen Augen. »Sehe ich da dünnere Haut? Sind das etwa Fältchen?«
Ich stieß ihn von mir. »Wird das wabbelig?« Ich piekste mit dem Finger in seinen Bauch. »Siehst du schon das Viagra in deiner Zukunft?«
»Und du das Botox in deiner?« Er lehnte sich zurück, streckte den Arm aus und wartete darauf, dass ich mich seinem Körper anpasste. »Bin ich eigentlich der Einzige, der weiß, was für ein Miststück sich in diesem niedlichen Püppchen verbirgt?«
»Niedliches Püppchen? Alter Mann, alter Mann«, höhnte ich im Singsang und musste mir dabei die Tränen verkneifen, denn er sollte mir nicht ansehen, wie sehr seine Worte schmerzten.
»Ehrlich, Merry. Es heißt doch, wenn man älter wird, hat man irgendwann das Gesicht, das man verdient. Vielleicht stimmt das gar nicht. Schau uns an, immer noch schön, immer noch gut aussehend. Vielleicht hat man am Ende die Persönlichkeit, die man verdient.«
26
Merr y
ine Woche später war ich sicher, dass ich Quinn zum allerletzten Mal in mein Bett gelassen hatte, und ich tilgte selbst die geringsten Spuren, die er in meinem Leben hinterlassen hatte. Die wenigen Fotos von uns zerriss ich. Das billige Medaillon, das er mir geschenkt hatte, warf ich weg. Die Glasvase für die Blumen, die er mir immer mitgebracht hatte, spendete ich Goodwill.
Ich gab die Männer auf. Verheiratete Männer, dicke Männer, dünne Männer, muskulöse und stahlharte Männer, sensible und witzige Männer, Blödmänner und Blender – ich war fertig mit ihnen. Ich setzte meine Selbstreinigungsmission damit fort, dass ich auch den Alkohol und die m&m's strich. Ich trat einem Fit-ness-Club nur für Frauen bei, damit ich nächste Woche zu Thanksgiving dafür dankbar sein konnte, dass ich körperlich stark und emotional gefestigter wurde. Ich ging früh zur Arbeit, bereit, Seelen zu retten, und als ich nach Hause kam, war ich high von den vielen weisen Ratschlägen, die ich den ganzen Tag lang erteilt hatte.
Ehe ich nach oben ging, schaute ich in den Briefkasten. Ein Brief mit den vertrauten Worten »Richmond County Prison« glühte giftig zwischen der Rechnung fürs Kabelfernsehen und der VISA -Abrechnung hervor. Ich ließ meine automatische Re aktion, mir einen Jack Daniels einzuschenken, durch mich hindurchfließen, ohne dem Impuls nachzugeben. Stattdessen holte ich mir einen V 8 -Gemüsesaft aus dem Kühlschrank und hielt mir vor Augen, wie viel besser meine Haut auszusehen schien, seit ich den Alkohol durch Saft ersetzt hatte. Ich dachte daran, mir die blutrote Flüssigkeit auf den ganzen Körper zu schmieren, bis ich wieder wie zwanzig aussah.
Ich kniete mich vor den Kühlschrank und legte den Brief beiseite, um mich erst mit Essbarem zu wappnen. Im untersten Fach fand ich eine Schüssel Tomatenschnitze, die in einer Pfütze aus Öl, Essig und welken Korianderblättern vor sich hin schrumpften. Ich schnupperte an dem traurigen Salat, aß eine Gabel voll davon und hoffte, dass Essig als natürlicher Feind von Bakterien in Nahrungsmitteln wirkte.
Dann öffnete ich den Brief meines Vaters.
Liebe Merry, bist wohl momentan zu beschäftigt, um Deinen Vater zu besuchen? Hast Du einen neuen Freund? Nicht nur, dass ich Dich seit Deinem Besuch im Oktober nicht mehr gesehen habe, Du hast mir auch nur diese eine Karte geschrieben. Nicht mal einen Brief, nur eine gekaufte Karte. Ich habe seit Ewigkeiten kein Foto von den Mädchen zu Gesicht bekommen, und in ihrem Alter wachsen sie doch wie Unkraut.
Mein Vater, der Experte für kindliche Entwicklung.
Na ja, macht nichts. Ich habe gute Neuigkeiten. Es wird nicht mehr lange dauern, bis ich die beiden mit eigenen Augen sehen kann. Ich werde im März entlassen!
Ich weiß, Du dachtest, das würde nie passieren, aber meine jahrelange gute Führung zahlt sich endlich aus. Die Gefängnisse werden zu voll,
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