Heute Und in Ewigkeit
Gefängnis fahren. Ich würde mich um ihn kümmern, ihn aber von den Mädchen fernhalten. Ich würde sie vor der ganzen Hässlichkeit beschützen. Ich konnte meinen Vater unter Kontrolle halten, wenn es sein musste. Wenn er meine Hilfe wollte, würde er diesen Mist von wegen »meine Enkelinnen« eben aufgeben müssen.
Cassandra klappte das Buch zu und hob das kleine Mädchen von ihrem Schoß. »Komm«, rief sie Ruby zu. »Tante Merry wartet.«
»Nur, weil du fertig bist, bin ich's noch lange nicht.« Ruby schüttelte den Kopf. Ihre Zöpfe, die sich langsam auflösten, flo-gen durch die Luft. »Ich habe ihnen versprochen, dass wir zehn Runden spielen.«
Ich warf Asia, der Leiterin, einen flehentlichen Blick zu.
»Mach dir deswegen keine Gedanken, Ruby«, sagte Asia. »Jetzt fängt bei uns sowieso die Ruhezeit an.«
Ich wollte nicht, dass meine Schwester uns hier entdeckte. Nicht, dass ich die Mädchen bitten würde zu lügen oder so etwas, ich wollte nur nicht, dass Lulu nach uns suchen musste.
Ruby reichte Asia den Ball. »Kenny ist dran«, sagte sie. Dann holte sie ihre Schultasche und wandte sich mir zu. »Dürfen wir bald wieder herkommen? Könnte ich hier arbeiten? Nicht für Geld, nur zum Helfen.«
Cassandra verdrehte die Augen. »Na klar wird Mom dich hier arbeiten lassen.«
»Es ist nett von dir, dass du uns helfen willst, Süße, aber du bist noch ein bisschen zu jung.« Ich schob die Mädchen in Richtung meiner Dienststelle. »Das erlauben die Vorschriften nicht.«
»Und Mom auch nicht«, setzte Cassandra hinzu.
»Da wir gerade von Mom sprechen«, sagte ich. »Gehen wir lieber schnell zurück in mein Büro, ehe sie kommt. Sie hat versprochen, vor meinem nächsten Termin da zu sein.« Ich musste mit einem Klienten, der sich nicht an seine Auflagen gehalten hatte, vor dem Richter erscheinen, und während dieser Zeit konnte ich mir keine Gedanken um die Mädchen machen. Ich warf einen Blick auf die Uhr und betete, Lulu möge nicht zu spät kommen. Dieser spezielle Richter war sehr pedantisch und dieser spezielle Täter eine Nervensäge.
»Wird sie böse sein, weil wir nicht oben auf sie gewartet haben?«, fragte Ruby.
»Böse nicht«, antwortete ich. »Aber sie könnte sich Sorgen machen.«
Als wir mein Büro erreichten, räumte ich an der Schreibtischkante etwas Platz frei. »Lest oder macht eure Hausaufgaben.« Ich sah auf die Uhr. »Mom müsste in zehn Minuten da sein.«
»Ich male ein Bild von Kenny und Sean«, verkündete Ruby – das waren offenbar die Zwillinge, mit denen sie gespielt hatte. »Wenn ich mit meinen Hausaufgaben fertig bin.«
Ich schob den Mädchen eine halb volle Schachtel Girl Scout Cookies hin. »Tut mir einen Gefallen und wartet, bis ihr im Auto sitzt, ehe ihr Mom von dem Spielzimmer erzählt.«
»Hätten wir da etwa nicht hingehen dürfen?«, fragte Cassandra.
»Sie könnte sich Sorgen machen, weil es in einem Gerichtsgebäude ist.«
»Ist das gefährlich?«, fragte Ruby. »Hier sind überall Verbrecher, oder?«
»Ja«, sagte ich. »Aber hier sind auch überall Polizisten.«
»Kommen auch Mörder hierher?« Rubys Frage klang aufgeregt, als arbeitete ich mit Promis: Mörder! Vergewaltiger! Und Diebe!
»Die arme Mom macht sich dauernd Sorgen. Wahrscheinlich hat sie immer solche Angst, weil eure Eltern gestorben sind«, erklärte Cassandra mir in vertraulichem Tonfall.
»Vielleicht erzählen wir ihr lieber gar nichts von dem Spielzimmer.« Ruby kniete sich auf den hölzernen Besucherstuhl und beugte sich über ihre Hausaufgaben.
»Es ist in Ordnung, einfach nichts zu sagen«, entgegnete ich. »Aber lügen dürft ihr nicht.« Ihnen den Unterschied zwischen einer Unterlassungssünde und einer tatsächlichen Sünde zu erklären, erschien mir etwas zu hoch gegriffen, aber ich hoffte, dass sie mich auch so verstanden.
»Tante Merry, wie viel ist zwölf mal zwölf?«, fragte Ruby.
»Sollten das nicht eigentlich deine Hausaufgaben sein?« Ich suchte meinen Schreibtisch ab, bis ich den Bericht fand, den ich brauchte.
»Ich habe sie ja gemacht. Ich will nur wissen, ob es stimmt.«
Ich nahm das Blatt, an dem Ruby arbeitete. »Das hast du gut gemacht, Süße.«
»He. Mizz Zachariah.«
Victor Dennehy stand in der Tür. »Wer sind die Kleinen?«
»Was tun Sie hier, Victor?« Ich stand auf und vertrat ihm den Weg. Er hatte auch einen Termin beim Richter, in einer Stunde. »Wie haben doch ausgemacht, dass wir uns vor dem Gerichtssaal treffen.«
Sobald ich in seine Nähe
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