Heute Und in Ewigkeit
sagte Victor und schwankte dabei leicht. »Jetzt haben Sie es echt versaut, Miss Zachariah. Was müssen Sie auch Ihren kleinen Freund herholen.«
Victor war betrunkener, als ich gedacht hatte. Vermutlich auch zugekokst, darauf hätte ich gewettet.
Paul hob die Hände und nahm bewusst eine unterlegene Haltung ein. »Wir können über alles reden. Sie wollen doch nichts sagen, was Sie später bereuen könnten, oder?«
»Schwule Sau«, spie Victor förmlich aus. Er stieß mich aus dem Weg und stürmte in mein Büro. Blitzschnell packte er Ruby am Arm und riss sie vor sich. »Werden Sie jetzt mit mir reden, Miss Zachariah? Oder muss ich immer noch unten auf Sie warten?«
Ruby kreischte, als sich seine Hand um ihren dünnen Arm schloss.
»Tante Merry!«, schrie Cassandra schrill. »Hilf ihr!«
»Sie tun mir weh«, jammerte Ruby.
»Ruhe.« Die Warnung schien uns allen zu gelten. Victor hielt Ruby mit der linken Hand fest und legte die Rechte um ihren Hals. »Sonst brech ich ihr das Genick.«
Ich trat einen Schritt vor. »Victor, lassen Sie sofort das Mädchen los. Wir gehen zusammen zum Richter. Ich verspreche es Ihnen.«
»Klar. Sicher. Wenn ich loslasse, stürzt sich doch sofort dieses fette Arschloch auf mich.« Er wies mit dem Kinn auf Paul. »Holen Sie einen Richter her, mit etwas, das mir garantiert, dass ich nicht ins Gefängnis muss. Schriftlich. Und ich verlange meinen Anwalt. Sonst können Sie heute mit einem toten Kind nach Hause gehen.«
Paul wich langsam von der Tür zurück. »Ich hole sie. Jetzt gleich.«
»Bringen Sie mir bloß nicht dieses Miststück von Richterin. Holen Sie mir einen Mann. Einen Weißen.«
Ruby wimmerte. Cassandra saß aufrecht und still auf ihrem Stuhl, bis auf ihren Fuß, der sich langsam zur Seite schob, bis er den ihrer Schwester berührte.
Ich riss mir die Handflächen mit den Fingernägeln auf, während ich mir befahl, ruhig zu bleiben.
»Ich verstehe, Victor.«
»Einen Scheiß verstehen Sie.«
»Doch, ich verstehe Sie. Sie sind wütend. Sie glauben, niemand wolle etwas für Sie tun, und alle hätten es auf Sie abgesehen.«
»Ist ja auch so. Für die Scheiße hier kann ich nichts.«
29
Lul u
och eine einzige rote Ampel, und ich würde schreien. Audras Familie hatte mich so lange in der Klinik festgehalten, dass ich viel zu spät kommen würde, um die Kinder abzuholen. Die arme Merry drehte sicher schon durch vor Ungeduld. Hatte sie nicht gesagt, sie hätte einen Termin? Eine Anhörung? Irgendwas bei Gericht?
Merry hatte mich heute Vormittag gerettet. Ich war in letzter Zeit wirklich zu hart zu ihr gewesen. Ich lenkte um ein in zweiter Reihe geparktes Auto auf der Washington Street herum und war jetzt nur noch wenige Querstraßen vom Gerichtsgebäude entfernt.
Meine Schwester zu überreden, die Kinder für mich abzuholen, war jämmerlich einfach gewesen. Ich hatte sie angerufen, und sie hatte sofort einige Termine mit ihren Klienten verschoben und sich Valeries Auto geliehen, um die Mädchen abzuholen. Vielleicht dachte Merry, wenn sie mir half, würde uns das einander wieder näherbringen.
»Keine Sorge«, hatte sie gesagt. »Die Mädchen und ich, wir schaffen das schon.«
Sie würden vermutlich mehr tun, als es nur zu schaffen. Merry hatte wesentlich mehr Geduld mit den beiden als ich, hoffentlich deshalb, weil Tante zu sein leichter war, als Mutter zu sein, und nicht, weil sie netter war.
So viele Jahre lang hatte ich ihr zugesetzt, weil sie Dad besuchte. Aber war sie vielleicht der bessere Mensch, weil sie zu ihm hingegangen war, während ich ihn versteckt hatte wie einen schmutzigen Putzlappen? Hatte ich zugelassen, dass Dads Tat mich mein Leben lang beherrschte? Vielleicht war ich in Wahrheit seine Gefangene gewesen.
Die Autos vor mir bremsten. Wieder eine rote Ampel. Ich trommelte mit den Fingern auf dem Armaturenbrett herum, eine Angewohnheit, die Drew wahnsinnig machte.
Audra hatte beschlossen, das Krebsmedikament abzusetzen. Sie hatte mich dabeihaben wollen, weil sie nicht gegen ihre Kinder und den Onkologen ankämpfen konnte. Audra brauchte jemanden, der ihr erlaubte, mit dem Kämpfen aufzuhören.
Die Ampel sprang auf Grün. Ich schaffte es einen ganzen Häuserblock weiter, ehe ich schon wieder anhalten musste. Ungeduldig trat ich auf die Bremse, gelangweilt von meinen Gedanken und meiner eigenen Gesellschaft. Streifenwagen versperrten die Straße, und ich wurde halb verrückt, weil ich das Gerichtsgebäude praktisch schon sehen konnte. Ein
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