Heute Und in Ewigkeit
viel weniger), aber
ich glaube, das passt schon.
Seit ich zwölf war, habe ich das alles getan: jede Droge genom men außer Crack (weil die Crack-Junkies um mich herum aussehen wie Krätze auf Beinen). Jedes Mädchen gefickt, das ich kriegen konnte, indem ich ihnen vorgelogen habe, was ihnen gefallen hat. Sie geschlagen, wenn sie nicht gehorcht haben. Eine gezwungen, ein Baby wegmachen zu lassen – weil ich niemandes Daddy sein wollte, weil ich wusste, dass ich ein beschissener Daddy wäre, genau wie meiner. Meine Mutter von der Straße geholt, als es so aussah, als würde sie sterben. Sie doch da bleiben lassen, als ich nicht mehr für uns beide sorgen konnte. Handtaschen geraubt, sogar von alten Damen. Die Schule abgebrochen. Einen Kerl beinahe umgebracht.
Seit ich verhaftet wurde und Bewährung bekommen habe (weil ich diesen Kerl beinahe umgebracht habe), habe ich das hier getan: die GED -Prüfung abgelegt, weil meine Bewährungshelferin das zur Auflage gemacht hat. Die Finger von den Drogen gelassen, weil meine Bewährungshelferin mich gezwungen hat, jede Woche eine Urinprobe abzugeben. Sie hat mich das verdammte Labor sogar noch bezahlen lassen. Mir einen Job gesucht, weil meine Bewährungshelferin das zur Auflage gemacht hat. Bücher gelesen, weil meine Bewährungshelferin mir eine Leseliste zur Auflage gemacht hat. Bin hier gelandet, am Bunker Hill Community College, weil das auch zu meinen Bewährungsauflagen gehört.
Jetzt läuft meine Bewährung ab, und ich verlasse Bunker Hill. Es ist vorbei. Ich bin fertig. Jetzt gehe ich an die Northeastern University. Weil meine Bewährungshelferin mir die Bewerbungsunterlagen beschafft hat. Sie hat gesagt, sie sei stolz auf mich.
Ganz am Anfang hat meine Bewährungshelferin das hier oben auf meinen Bewährungsplan geschrieben:
Viele Menschen haben eine falsche Vorstellung davon, was wahres Glück bedeutet. Man erreicht es nicht durch die selbstsüchtige Erfüllung eigener Wünsche, sondern indem man einer würdigen Bestimmung treu bleibt. Helen Keller
Das Problem war nur, dass ich nicht mal wusste, wer Helen Keller war, und es war mir peinlich, sie danach zu fragen oder sie merken zu lassen, dass es mir etwas ausmachte, das nicht zu wissen. Aber ich habe es herausgefunden – auch wenn ich mit dem Film über sie angefangen habe. Danach habe ich ihr Buch gelesen. Obwohl es nicht auf der Liste stand. Da habe ich zum ersten Mal in meinem Leben etwas gelesen, das ich nicht lesen musste. Ich habe gemerkt, dass mir das Lesen vielleicht Spaß machen könnte.
Vielleicht war dieses Zitat das Ereignis, das mein Leben verändert hat. Vielleicht war es auch die Verhaftung. Oder die Zeit, die ich in einer Zelle gesessen habe, lange genug, um zu erkennen, dass ich nicht gern auf stinkenden Gefängnispritschen schlafe. Da will ich ganz sicher nie wieder hin.
Ich weiß nicht, ob meine Bewährungshelferin das mit dem Zitat für jeden macht, den sie betreut, oder ob sie etwas in mir gesehen hat. Das ist auch egal. Wichtig ist, dass sie mich dazu gebracht hat, etwas in mir zu sehen. Sie hat mich bereit dafür gemacht, meine würdige Bestimmung zu suchen. Also schätze ich, Ms. Zachariah zu begegnen und sie als Bewährungshelferin zu haben, war das Ereignis, das mein Leben verändert hat.
Ich sah auf. Jesse fing meinen Blick auf. »Miss Zach, Sie wirken nie glücklich«, sagte er. »Ich glaube
nicht, dass das hier Ihre würdige Bestimmung ist.«
Die Vorbereitungen auf Quinns Besuch an diesem Abend waren eine zornige Mischung aus lästigen Verschönerungsarbeiten. Erst schnitt ich mir beim Rasieren ins linke Bein, dann stach ich mir mit dem Eyeliner ins Auge. Ich zog Pulli um Bluse um Pulli an, auf der Suche nach etwas, das nicht ausstrahlte Ich habe absolut nichts außer dem Leben anderer Leute, den Familien anderer Leute und den Ehemännern anderer Leute, also fick mich auf der Stelle, und dann geh nach Hause. Mein Versuch, die Männer aufzugeben und vor allem Quinn aufzugeben, war wieder einmal gescheitert.
Sobald Quinn in der Tür stand, fragte er: »Geht es dir gut?« Er hielt mich auf Armeslänge von sich weg und musterte mich, als wollte er den entstandenen Schaden abschätzen. »Ich habe den Zeitungsartikel gelesen. Du hast dich großartig geschlagen.«
»Hast du deswegen angerufen?« Ich bot ihm ein Bier an. »Weil du mir gratulieren willst?«
»Glaubst du nicht, dass ich mir Sorgen um dich machen könnte?«
Darauf wollte ich nicht antworten. Ich wollte nur ins
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