Heute Und in Ewigkeit
hätte Janine und Crystal mitnehmen können. Wir hatten einander versprochen, für immer Freundinnen zu bleiben, aber Lulu sagte, ich sollte lieber nicht darauf wetten. Sie nahmen einen hier nicht wieder auf, wenn man einmal richtig weg war, erklärte sie mir. Vor allem, weil Mrs. Cohen nicht mehr im Duffy arbeiten würde.
Ich fragte mich, wie bald sie hier sein würden, Mrs. Cohen und ihr Mann. Lulu und ich wussten nicht, wie wir sie nennen sollten, also sagten wir meistens einfach »sie«. Aber jetzt würden wir bei ihnen leben und mussten uns bessere Namen einfallen lassen.
Bei dem Gedanken daran, in ihre Wohnung zu ziehen, bekam ich immer so ein Gefühl, als ob ich pinkeln müsste. Tausend Fragen schwirrten mir im Kopf herum. Wie sollte ich es schaffen, jede einzelne Minute brav zu sein? Was würden wir bei ihnen zu Hause tun? Wie lange würden die Cohens mich mögen?
Lulu steckte den Kopf ins Zimmer. »Bist du fertig? Sie werden bald da sein.« Sie marschierte durch den Schlafsaal zu mir herüber, stellte ihre Papiertüte ab und begann sofort, das abgezogene Bett und die wackelige Kommode zu inspizieren, ob ich auch nichts vergessen hatte.
»Ich habe Angst«, sagte ich.
»Bist du sicher, dass du alles hast?« Lulu kniete sich hin, schaute unter dem Bett nach, stand wieder auf und klopfte sich die Jeans ab, die so lang war, dass die modisch ausgefransten Säume auf dem Boden schleiften. Die Eisenfedern bohrten sich sichtbar durch den Stoff und quietschten, als Lulu sich auf die nackte, dünne Matratze setzte. Sie zog die Knie unters Kinn und schlang die langen Arme darum. Lulu wurde mit jedem Monat größer, cooler und klüger, während ich mickrig blieb. Ich musste auch endlich groß werden. Ich wollte diesem wichtigsten Augenblick in meinem Leben gerecht werden. Mrs. Cohen musste sich unbedingt freuen, dass sie mich genommen hatte. Die Cohens mussten mich mögen, mich lieb haben.
»Was meinst du, wie lange sie uns bei sich behalten?«, fragte ich.
Lulu machte ein finsteres Gesicht. »Ich weiß es nicht, und ich frage auch nicht danach. Du musst einfach brav sein. Wenn sie uns drei Jahre bleiben lassen, bin ich achtzehn, und dann kann ich mich um dich kümmern.« Lulu zog meine Hand von meiner Brust, wo ich nach meiner Narbe getastet hatte. »Sehr brav«, mahnte sie. »Wir dürfen ihnen keinerlei Ärger machen.«
»Nehmen sie uns denn nicht, damit sie sich um uns kümmern können?«
»Sie sind alt. Mrs. Cohen geht sogar schon in Rente.«
»So alt ist sie nun auch wieder nicht.«
»Herrgott, Merry, sie ist sechzig. Sechzig! Ich meine, wenn sie unsere richtige Mutter wäre, dann hätte sie dich mit fünfzig auf die Welt gebracht.«
Lulu stopfte meine Sammlung Nancy-Drew-Bücher – ihre alten – in Omas Koffer. »Misses Cohen hat Mitleid mit uns, aber sie wird uns nicht behalten, wenn wir ihnen Scherereien machen. Das erlaubt Doktor Cohen ihr nicht.« Sie sah mich mit diesem Blick an, mit ganz schmalen Augen, von dem ich schwören könnte, dass Mama mich auch so angeschaut hatte. »Sie adoptieren uns nicht, wir sind nur in Pflege.«
Lulu legte die Tüte voll gerahmter Fotos, die sie mitgebracht hatte, oben auf alles andere in Omas Koffer. Ich hatte die Fotos aus Omas Wohnung mitgenommen, als Onkel Irving uns hingebracht und gesagt hatte, nehmt euch, was ihr wollt. Ich hatte nicht gewusst, was ich sonst nehmen sollte. Das schwere Wiegemesser mit den abgenutzten Holzgriffen, das Oma immer benutzt hatte, wenn sie Eiersalat machte? Die dicke braune Decke auf ihrem Bett? Lulu hatte gesehen, wie ich alles genau betrachtet hatte, und dann gesagt: »Die Cohens werden dich für verrückt halten, wenn du mit einem Sack voll Omas alter Sachen hereinspazierst.« Also hatte ich nur ein paar Fotos mitgenommen, und Lulu hatte sie für mich aufgehoben, sicher vor Reetha.
Aber ich wünschte, ich hätte etwas mitgenommen, das Oma in der Hand gehalten hatte. Etwas, das ich anfassen konnte, um sie zu spüren.
Das größte Foto war von Daddy, an ihrem Hochzeitstag. Mama war nicht mit auf dem Bild. Daddys Zähne waren glänzend weiß, sein Haar zurückgekämmt. Kein Mann sah so gut aus wie er.
Daddy hielt mich hoch oben auf seinen Schultern fest, und der Wind von Coney Island peitschte uns das Haar ins Gesicht. Ich sah aus wie ein Mini-Teenager in einem winzigen Bikini. Es war der Sommer vor Mamas Tod. Daddy sang ständig den ItsyBitsy-Teenie-Weenie -Song, aber er sang »red polka dot bikini« statt »yellow«, weil
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