Heute Und in Ewigkeit
Sturz, den sie erlitten, selbst Beulen bekommen würde.
»Warum kannst du heute nicht mit zum Strand kommen?«, fragte Cassandra.
Warum ist es so schwer, dich zufriedenzustellen, wenn wir dir schon so viel geben? »Daddy erlaubt jeder von euch, eine Freun
din mitzunehmen, oder?«, erwiderte ich. »Ihr braucht mich gar
nicht.«
Vielleicht gaben wir ihnen ja zu viel.
Cassandra rappelte sich auf die Knie hoch, als flehte sie um mein Verständnis. Das dünne braune Haar, das ihr bis über die Schultern fiel, erinnerte mich an mein eigenes. »Doch, ich brauche dich«, sagte sie. »Du kommst nie mit. Du hast noch gar nicht gesehen, wie gut ich jetzt kraulen kann.«
»Am Wochenende gehen wir alle zusammen an den Strand. Versprochen.«
»Sicher«, sagte Cassandra. »Ganz bestimmt.«
Sie hörte sich an, als bräche ich meine Versprechen tagtäglich. Sah sie mich etwa so? »Und wir gehen in die Buchhandlung und kaufen ein paar neue Sommerbücher.«
Wohin ich mich als Mutter auch drehte und wendete, immer enttäuschte ich jemanden. Ruby und Cassandra waren wie verfeindete Nationen, brauchten ständig verschiedene Dinge und waren nie gleichzeitig zufrieden. Ich blickte zu jeder Zeit Enttäuschung, Versagen oder Grauen entgegen. Irgendwann musste alles davon einmal eintreten, nicht wahr?
Siehst du, Drew? Ich wusste es. Wer Kinder bekam, der musste den schlimmsten Mist im Leben ertragen. Indem Drew mich durch Druck und Bestechung in die Schwangerschaft getrieben hatte, hatte er mich zur Geisel ständiger Angst gemacht. Man gebiert ein Kind, und dann trägt man ein Leben lang Sorgen mit sich herum.
Hatte meine Mutter auch so empfunden? Hatten ihre Gedanken an die Gefahren, die Merry und mir drohen könnten, sie nachts wach gehalten? Erinnerungen an Mama einfangen zu wollen, war ungefähr so, als versuchte man, den Regen festzuhalten. Ich konnte mich nicht daran erinnern, Sorge bei ihr gespürt zu haben, aber sie war meine Mutter, sie musste sich Sorgen gemacht haben. Mit diesen Gedanken tröstete ich mich.
Ruby kam zur Tür hereingerannt. Drew folgte ihr mit einem Becher in der Hand.
»Hast du sie geweckt?«, fragte Ruby Cassandra. Dann drehte sie sich zu ihrem Vater um. »Jetzt bekommt sie Ärger, oder nicht?«
»Nein, sie bekommt keinen Ärger«, sagte ich. »Sei nicht so eine Anstifterin.«
»Was ist das?«, fragte Ruby.
»Ein Anstifter ist jemand, der etwas anfängt, aber auf eine schlechte Art«, erklärte ich.
»Jemand, der sich aufführt wie ein Baby«, fügte Cassandra hinzu. »Und der dauernd weint.«
»Und du hast dir in die Hose geschissen!« Damit beendete unsere achtjährige Tochter so gut wie jeden Streit.
»Ruby! Wie oft müssen wir dir noch erklären, dass du das nicht sagen darfst?«, mahnte Drew. Er drückte mir den Kaffeebecher in die Hand. Cassandra hatte auf dem Heimweg vom Cape furchtbar unter einer Lebensmittelvergiftung gelitten und es nicht bis zur nächsten Toilette geschafft, und seither verhöhnte Ruby sie damit. »Du weißt genau, dass Cassandra krank war.«
»Du solltest nicht so ordinär und gemein sein«, fügte ich hinzu.
Cassandra streckte Ruby die Zunge heraus und blickte dann vorwurfsvoll zu Drew auf. »Ich habe Mommy gesagt, dass du Ruby Pfannkuchen gemacht hast, obwohl ich gewonnen habe.«
Mittel gegen die schlechten Charakterzüge meiner Töchter zu finden – Cassandras Hang zur Haarspalterei in Sachen Gerechtigkeit und Rubys Versuche, sich vorzudrängen –, schien eine Sisyphusarbeit zu sein. Meine Mädchen hatten so viele anstrengende Eigenschaften. Sie zu zivilisieren, überforderte mich. Wie
viel leichter es doch wäre, ihnen Häppchen hinzuwerfen wie tollwütigen Hunden. Süßigkeiten! Spielzeug! Hotdogs! Kommt und holt sie euch, Mädchen! Wuff! Habt mich lieb!
»Aber ich bin verletzt«, sagte Ruby. Sie hielt die Hand hoch und zeigte mir ein Dornröschen-Heftpflaster auf ihrer winzigen Handfläche. »Siehst du?«
»Cassandra, Ruby ist wirklich verletzt. Darüber haben wir doch schon gesprochen«, sagte Drew. »Morgen bekommst du Waffeln.«
Unsere Älteste sank in sich zusammen und lehnte sich an mich. Ich strich über ihr feines, helles Haar und wollte weglaufen, weit weg von ihnen allen. Cassandra seufzte tief getroffen. Sie wandte sich mir zu, nahm mein Gesicht zwischen die Hände und starrte mich an, als sei ich das Blut, das durch ihre Adern rann.
»Bitte bleib mit mir zu Hause, Mommy«, bettelte sie. »Lass Ruby mit Daddy gehen, und du bleibst heute bei
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