Heute Und in Ewigkeit
warteten im Esszimmer. Vor einer Viertelstunde war ich unter großem Lärm und Getue in meinem Arbeitszimmer verschwunden, damit sie Zeit hatten, ihr »Geheimnis«, meinen Geburtstagskuchen, auf den Tisch zu bringen.
Ich warf den groben Gefängnis-Umschlag weg und blätterte mich halbherzig durch den Berg Post auf meinem Schreibtisch. Die viele Korrespondenz verlieh dem Raum eine ungewollt unordentliche Note. Das Chaos machte mich furchtbar nervös, aber mir war, als würde ich gleich Kopfschmerzen bekommen, weshalb ich mich jetzt nicht mit Rechnungen befassen wollte. Der Drang, nach oben zu gehen und mich nach einer kühlen Dusche ins Bett zu legen, nagte an der gefühlten Verpflichtung zu fröhlicher Feierlaune, vor allem vor den Mädchen.
Ich hob den zusammengeknüllten Umschlag auf und strich ihn glatt, weil ich mich von meinem Vater nicht so besiegen lassen wollte. Ich schlitzte den Umschlag auf und holte eine selbst gemalte Karte mit roten und blauen Luftballons hervor.
Liebe Lulu, heiliger Strohsack – wenn Du einundvierzig wirst, bin ich fast sechzig! Ich werde hier drin ein alter Mann – und glaub mir, Schätzchen, das ist kein schöner Ort zum Altwerden. (Natürlich erwarte ich nicht, dass Du je an so einem Ort landest.) Nach allem, was Merry mir erzählt, wirst Du von Jahr zu Jahr erfolgreicher. Gut gemacht, Schokokrispie.
Falls ich meinem Vater jemals schreiben sollte, dann nur, um ihm zu sagen, dass er mich nie wieder Schokokrispie nennen sollte. Ich konnte immer noch hören, wie er es sagte, die Worte, die er durch den schmalen Schlitz geworfen hatte, nachdem ich die Tür einen Spaltbreit geöffnet hatte.
»Keine Angst, Schokokrispie. Mama wird nicht böse. Versprochen.«
Mama ist nicht böse geworden. Mama ist gestorben. Ich schloss einen Moment lang die Augen und schöpfte Kraft, um den Rest des Briefes lesen zu können.
Deine Mutter hätte vielleicht gestaunt. Ich kann sie richtig hören: Wo hat Lulu nur diesen klugen Kopf her? Ich glaube, der muss von Deinem Opa kommen, ihrem Vater – ich wüsste nicht, wer sonst in unserer Familie genug Grips für ein Medizinstudium hätte.
Ich klappte die Karte zu, weil ich fürchtete, vor Wut einen Schlaganfall zu erleiden, wenn ich noch weiterlas. Wie konnte er diese beiläufige, fröhliche Bemerkung über meine Mutter einwerfen, als wohne sie jetzt in Boca Raton, statt in einem Sarg zu verrotten? Ich habe Neuigkeiten für dich, Dad – »unsere Familie« gibt es nicht.
Erwachsene sollten sich selbst zur Adoption freigeben können. Dann würde ich mir eine Familie suchen, die sich zu jedem Feiertag versammelte, der je erfunden wurde – schnell, holt die Kolumbustag-Dekoration raus! –, um keine Gelegenheit auszulassen, uns mit unseren innerfamiliären Witzen und Insider-Andeutungen zu unterhalten. Eine Familie, die Geburtstage auf irgendeine andere Weise feierte, als selbst gemalte Glückwunschkarten aus dem Gefängnis zu verschicken.
Ich hätte so gern Dinge gesagt wie Du meine Güte, Tante Mary habe ich ja schon ewig nicht mehr angerufen! Ich wollte ein warmes Haus betreten, von besorgten Menschen beim Arm genommen und gefragt werden: »Waren die Straßen sehr schlecht, Lulu?«, während ich mir den Schnee aus dem Haar schüttelte.
Erwachsene zu adoptieren, sollte ebenso löblich und erstrebenswert sein, wie wunderhübsche kleine Chinesinnen zu retten.
Vielleicht war dies das Jahr, in dem ich dem Gefängnis mitteilen würde, mein Vater dürfe mir nicht mehr schreiben. Meine Töchter wurden allmählich alt genug, um die Aufschrift »Insassen-Korrespondenz, Joseph Zacharia, 79 -X- 876 « auf der Umschlagklappe und die Worte »Richmond County Prison« als Teil der Absenderadresse zu erkennen. Mich anzurufen, war ihm verboten, seit ich meinen ersten Telefonanschluss angemeldet hatte.
Unser Schredder stöhnte, als ich ihn erst die dicke Karte und dann den Umschlag zu Konfetti verarbeiten ließ.
Ich drehte den Kopf nach rechts und links, um die Verspannungen zu lockern. Dabei stellte ich mir vor, wie meine Familie heimlich Kerzen auf meinen Geburtstagskuchen steckte. Die Mädchen hatten ihre Aufregung über den ganz geheimen Nachtisch kaum beherrschen können. Kuchen! Eis! Zucker, Zucker, Zucker!
Drew war bewusst, dass ich diesen Tag verabscheute, und als guter Ehemann fühlte er mit mir, aber nur bis zu einem gewissen Punkt, nämlich dem Punkt, an dem meine Neurosen mit dem Bedürfnis unserer Töchter nach einem normalen Familienleben
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