Hex Hall 02 - Hawkins, R: Hex Hall 02
gingen wir nach links in einen mir völlig unbekannten Bereich von Thorne Abbey. Dieser Flur war dunkel und nicht mit Marmor und Gold ausstaffiert wie der Rest des Hauses. Hier gab es nur Holzvertäfelungen und stabile Eisenkäfige über den Glühbirnen. Schließlich blieben wir vor einer schweren, zerkratzten Tür stehen.
Dieser Raum war anders als alle anderen in Thorne. Zum einen war er relativ klein und düster. Er hatte keine Fenster, und als einzige Lichtquelle diente ein massiger, eiserner Kronleuchter mit tropfenden Kerzen. Es roch muffig und sogar etwas moderig, und der abgenutzte Holzboden hatte verschiedene dunkle Flecken. Ich wollte gar nicht erst darüber nachdenken, wie die wohl entstanden sein mochten.
An der Stirnseite erstreckte sich ein langer Holztisch fast über die gesamte Breite des Raumes, und dahinter standen fünf Stühle, ebenfalls aus Holz und mit einer hohen Rückenlehne. Dort saßen die Ratsmitglieder. Zuerst entdeckte ich Lara und stellte dann überrascht fest, dass Mrs Casnoff ihre Sitznachbarin war.
Ich war richtig schockiert, sie wieder in Thorne zu sehen, und brauchte daher einen Moment, bis ich bemerkte, dass Dad gar nicht mit am Tisch saß. Lara hob den Kopf, sah mich an und bedeutete mir vorzutreten. Vor dem Tisch stand eine niedrige Bank aus dem gleichen dunklen Holz wie die übrige Ausstattung des Raumes. Es kam einem so vor, als wäre man in einem riesigen Eichenfass eingeschlossen.
Archer saß auf dieser Bank und hatte seine Ellbogen auf die Knie gestützt. Seine Handgelenke waren noch immer mit Kristophers Seil gefesselt, seine Kleider zerrissen und blutverkrustet. Doch als ich mich neben ihn setzte, sah er mich an und versuchte zu lächeln. Es wurde allerdings eher eine Grimasse. Ich wollte ihn so gern berühren, aber mir war auch klar, dass ich damit alles nur noch schlimmer machen würde. Meine Magie füllte mich komplett aus, und nur für einen kleinen Augenblick gestattete ich mir die Vorstellung, sie einfach auf diesem Tisch mit den fünf grimmigen Gesichtern von der Leine zu lassen.
Gekonnt hätte ich es jedenfalls. Meine Kräfte waren stärker als die aller anderen zusammen.
Und was dann? Einfach abhauen, alles zerstören, wofür Dad gearbeitet hatte, und mich für den Rest meines Lebens verstecken? Nein danke. Was auch immer der Rat für mich parat halten mochte, so heftig konnte es gar nicht werden.
»Sophia, wie Ihnen zweifellos aufgefallen sein dürfte, sitzt Ihr Vater heute nicht unter uns«, begann Lara, während Kristopher auf dem leeren Stuhl gleich neben ihr Platz nahm. »Wir sind zusammen mit ihm zu dem Schluss gekommen, dass er nicht die nötige Objektivität besitzt, um an Ihrem Strafurteil mitzuwirken.«
Mein Blick wanderte umher, und schließlich entdeckte ich Dad an der hinteren Wand – in dem düsteren Licht war er kaum zu sehen. Er hatte sich angelehnt und hielt die Arme vor der Brust verschränkt, doch ich konnte sein Gesicht nicht erkennen. Dann kamen mir Laras Worte in den Sinn, dass Dad keinen Einfluss auf meine Verurteilung gehabt hätte. War er denn an Archers Verfahren beteiligt gewesen – und mitverantwortlich für seine Bestrafung?
»Nachdem das Gesetz des Rates jedoch verlangt, dass wir für alle Entscheidungen fünf Mitglieder benötigen, hat Anastasia sich bereit erklärt, den freien Platz einzunehmen. Gegen Sie wurden sehr schwer wiegende Anklagen erhoben, deretwegen Sie beide sich nun heute hier verantworten müssen.« Laras Stimme hätte dröhnend und donnernd klingen sollen, wie bei einem Urteil von ganz oben. Stattdessen war sie aber still und leise, geradezu vertraulich. »Archer Cross, Sie haben Hecate Hall als Mitglied von L’Occhio di Dio infiltriert. Bekennen Sie sich zu dieser Tat aus freien Stücken?«
So sehr wie in diesem Augenblick hatte ich mir noch nie gewünscht, telepathische Fähigkeiten zu besitzen. Bitte, spiel jetzt nicht den Klugscheißer, bitte spiel jetzt nicht den Klugscheißer, dachte ich und versuchte, die Worte allein durch Willenskraft in Archers Gehirn einzupflanzen. Entweder es hatte tatsächlich funktioniert, oder Archer war tatsächlich vernünftiger, als ich gedacht hätte.
»Ja«, sagte er leise.
Es schien, als ginge ein Seufzer durch die Reihe der fünf Prodigien am Tisch. Dann, wie auf ein Zeichen hin, richteten sich alle Augenpaare auf mich. »Sophia Mercer, Sie sind in ein verbotenes Gebiet auf Graymalkin Island eingedrungen und haben sich zu diesem Zweck mit einem Mitglied von
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