Hex Hall 02 - Hawkins, R: Hex Hall 02
große Augen, doch dann hielt er mir nur seine Hand an die Wange.
Kurz darauf erfüllte mich ein Wohlgefühl, eine selige Benommenheit, die sich behaglich von meiner Kopfhaut bis hin zu meinen Zehen ausbreitete. »Wirklich jetzt, die besten Kräfte aller Zeiten«, murmelte ich schläfrig.
»Geh ins Bett, Sophie«, sagte er und zog ganz plötzlich seine Hand zurück, so als hätte er sich an meiner Haut verbrannt. »Morgen wird ein langer Tag.«
Doch der heutige Tag war noch nicht vorbei. Als ich mich umdrehte und in mein Zimmer gehen wollte, stand nämlich Jenna direkt vor meiner Tür – ihr Gesicht war zu einer Maske aus Kränkung und Wut erstarrt.
»Ich war gerade unten, um mir ein bisschen Blut zu holen«, begann sie. Ihre Lippen bewegten sich kaum. »Ich … hab sie mit dir reinkommen sehen. Und mit Archer.«
Cals Zauber, der doch noch vor wenigen Augenblicken so hilfreich gewesen war, wurde jetzt zu einem Albtraum. Mein Gehirn fühlte sich viel zu weich und vernebelt an, um mit einer guten Erklärung aufwarten zu können, und als ich es dann doch versuchte, bekam ich nicht die richtigen Worte zu fassen. »Er hat mir geholfen.«
Sie gab einen Laut von sich, der halb Keuchen, halb Schluchzen war. »Dir geholfen? Sophie, er ist einer …«
»Von ihnen«, beendete ich ihren Satz in einem unerwartet ärgerlichen Ton. »Ich weiß. Du bist heute Nacht nicht die Erste, die mir das sagt. Aber Jenna, bitte!« Flehentlich klammerte ich mich an ihren Unterarm. »Cal ist wütend auf mich, mein Dad hasst mich wahrscheinlich … Ich könnte es nicht ertragen, wenn du das jetzt auch noch tust.«
Zwei Tränen liefen ihr übers Gesicht und tropften auf meinen Handrücken. Ihr Blutstein schimmerte leicht im Licht der Wandkerzen, und nach einer sehr, sehr langen Minute legte sie ihre Hand auf meine. »Okay«, schniefte sie. »Aber morgen erzählst du mir alles.«
»Alles«, stimmte ich zu und spürte ein Brennen in den Augen. Als sie mir dann endlich die Arme um den Hals warf und mich an sich drückte, war ich wirklich kurz davor, schluchzend zusammenzubrechen. »Du bist eine viel bessere Freundin, als ich verdient hätte«, nuschelte ich gegen ihre Schulter.
Sie drückte mich noch fester. »Ich weiß.«
Ich lachte und weinte gleichzeitig, während die Last auf meinem Herzen ein kleines bisschen leichter wurde.
Am nächsten Morgen hörte ich in aller Frühe ein Klopfen an der Tür und war sofort hellwach. Inzwischen hatte sich Cals Zauber restlos verflüchtigt, und Angst und Verzweiflung überfluteten wieder mein Bewusstsein. In weniger als vierundzwanzig Stunden war mein ganzes Leben komplett auf den Kopf gestellt worden. Nick und Daisy waren durchge dämont , Archer ein Gefangener des Rates, und die zerbrechliche Beziehung, die ich zu Dad gerade erst aufgebaut hatte, lag nun vollkommen in Trümmern. Irgendwie war es doch unfair, dass in so kurzer Zeit so viel Schreckliches geschehen konnte.
Aber vielleicht verbrauchte ich ja auch einfach schon jetzt das ganze Elend, das für mein gesamtes Leben vorgesehen war. Möglicherweise würden die nächsten achtzig Jahre aus nichts anderem bestehen, als Kniffel zu spielen und viele verschiedene Katzen zu sammeln. Das könnte doch ganz nett werden.
Beim zweiten Klopfen wurde mir klar, dass es nicht an meiner Tür geklopft hatte, sondern an der von Cal, also weiter vorn im Flur. Darum ließ ich mich wieder auf mein Kissen sinken. Würde ich die Nächste sein, oder holten sie erst Archer?
Oder sie hatten sich Archer schon geholt.
Ich schüttelte diesen Gedanken schnell ab, stand kurzerhand auf, wusch mich und zog mir frische Klamotten an. Meine Sachen von letzter Nacht lagen noch immer in einem steifgetrockneten Haufen auf dem Boden. Mir lief es kalt den Rücken runter, als ich sie im Bad in den kleinen Messingmülleimer unterm Waschbecken warf. Es war zwar nicht das erste Mal, dass ich Blut an meinen Kleidern gehabt hatte, aber ich hoffte doch von ganzem Herzen, dass es das letzte Mal sein möge.
Als sie kamen, um mich zu holen, saß ich in dem schwarzen Etuikleid, das mir Lara bei Lysander’s gekauft hatte, auf der Bettkante und wartete. Auf das energische Klopfen hin öffnete ich die Tür, und Kristopher stand vor mir.
»Sophie, sie sind jetzt so weit – für Sie«, sagte er.
Ich nickte, mein Herz flatterte wie verrückt und mein Mund war knochentrocken.
Er führte mich die Treppe hinunter, aber statt nach rechts zu den offiziellen Räumen des Rates abzubiegen,
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